kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


8. Der Mythos vom Phallus

k) Geschlechterontologie? Generaontologie?


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    8. k) Geschlechterontologie? Generaontologie?

  1. Beim Nachsinnen über den Phallus und den Phallologos fällt es auf, daß die Bezeichnung 'Geschlechterontologie' als sprachliche Zusammensetzung eine Mischform aus dem Deutschen und dem Griechischen darstellt. Die Geschlechterontologie fragt nach dem Sein der Geschlechter. Was ist das, das Sein der Geschlechter? Auf Griechisch lautet letzterer Ausdruck tò ton genon einai. Das Genus ist das griechische Wort für Geschlecht, wonach die vorliegende Abhandlung gleichwohl eine Generaontologie genannt werden könnte. Genus hat vielfache Bedeutungen: "Geschlecht (im Sinne der Familie, des Stamms, der Sippe)", "Herkunft", "Menschenklasse, Stand", "Menschenalter, Zeitalter, Generation". Auch in der Logik spielt das Genus eine gewichtige Rolle als die Bezeichnung der Allgemeinbegriffe, denen die Aufgabe zukommt, die Vielfalt in Konzepten zusammenzugreifen (concipere) und so zu begreifen, daß die Gemeinsamkeit der Zusammengehörigen in ihrer Zusammengehörigkeit zur Sprache kommt. In der Leit- und Grundbedeutung sagt das Wort Genus also das Zusammengehören, das durch einen gemeinsamen zeitlichen Ursprung, einen gemeinsamen Grund (aítios) oder lediglich durch ein gemeinsames Merkmal gestiftet wird. Die Mitglieder eines Genus - seien es Menschen oder seien es andere Seiende - sind durch das Genus selbst zusammengehalten und als zusammengehörig ausgezeichnet. Wie aber sind die Menschen als Genus zusammengehalten? Durch einen gemeinsamen Ursprung, einen gemeinsamen Grund oder sonstwie durch ein gemeinsames Merkmal? Oder durch die Offenheit für die Wahrheit des Seins?

  2. Keine biologische Auszeichnung des Mannesgeschlechts genügt zur Kennzeichnung seines Geschlechts, da der männlich Seiende in seinem Wesen biologisch überhaupt nicht zu treffen ist. Nur der ausgezeichnete Bezug des männlich Seienden zum Sein als phallische Psyche könnte die männlich Seienden als zusammengehöriges Geschlecht oder Genus bezeichnen. Der Phallus würde dann das Mannesgeschlecht durch den Einlaß des männlich Seienden in die Ek-sistenz des politischen Gewer stiften, eine Ek-sistenz, die eine Entsprechung zur Ständigkeit des Seins forderte derart, daß der männlich Seiende für die poietische Entbergung von Seiendem Sorge trägt. Wenn wir von der Generadualität der Menschen reden, fällt es zwar auf, daß die eine Gattung (Mensch) in zwei Genera auseinanderfällt, die vielleicht jeweils zusammengehören sollten, deren Zusammengehörigkeit von der Metaphysik stets gestiftet wurde. Wodurch aber könnte diese Zusammengehörigkeit in ihrem Sein gestiftet werden, der Männer mit den Männern, der Frauen mit den Frauen? Verhält sich die Zusammengehörigkeit der jeweiligen Geschlechter symmetrisch, d.h. gibt es auch für die Frau ein Einziges wie den Phallus, der ihr Geschlecht bezeichnete? Oder liegt die Bedeutung des Phallus als "privilegierter Signifikant" darin, daß das Geschlecht der Frau nur als die 'Differenz' zwischen dem Menschengeschlecht und dem Mannesgeschlecht - gewissermaßen durch Subtraktion als ein Rest - definiert, eingegrenzt wird? Was denn aber wäre die Wesensauszeichnung der Menschengattung selbst? In welcher Dimension überhaupt west die Frau? Oder haben die beiden Geschlechter (Mann und Frau) als solche kein ontologisches Gewicht? Wird durch den Phallus mit einer Wesensnotwendigkeit eine Differenz zwischen den Geschlechtern gestiftet? Stiftet der Phallus als das auszeichnende Wort des männlichen Geschlechts die Zusammengehörigkeit und das Zusammenhalten der männlich Seienden und zugleich den Ausschluß des anderen Geschlechts aus ihrem Geschlecht? Sind die männlich Seienden wesenhaft die Zusammengehörenden als die von der Wahrheit des Seins Herausgeforderten? Oder sind das lediglich die männlich Seienden, die Werseienden? Wird das 'weibliche' Geschlecht durch seine Andersheit ein- und d.h. ausgegrenzt? Das andere Geschlecht - zumindest vom jetzigen Horizont des Denkwegs aus - hat kein eigenes, einigendes Wort, keinen Logos, der sein Geschlecht als für-sich-zusammengehörig stiften würde.

  3. Wenn der Phallus das männliche Geschlecht als Wesen im Gewer und in eins damit als privilegierter Signifikant den Einlaß des männlich Seienden in die Wahrheit der ständigen Anwesung bezeichnen würde, hätte er das Seinsgeschick des männlichen Geschlechts gesagt. Aber es ist keineswegs so. Mit dem Bezug zum Phallus bzw. zur Wahrheit als Entborgenheit des Seienden wird nicht das Geschlecht der Männer gestiftet, sondern das der männlich Seienden, was letztlich nicht eine Unterteilung des Menschengeschlechts in zwei bedeutet, sondern damit wird die Dimension der Männlichkeit als Herkunft der männlich Seienden genannt. Die Männlichen begehren den Phallus, die Wahrheit, sie streiten sich um das adäquate Wort und werden so zu Werständigen im Gewer. Die ontische Frau ist von diesem pólemos keineswegs wesenhaft ausgeschlossen, sondern nur historisch-kontingent. Deshalb - wie bereits mehrfach betont - haben die Titel Mann und Frau keine ontologische Bedeutung, d.h. keine Signifikanz in Bezug auf die Wahrheit des Seins, und es gibt vom Sein her und deshalb wesenhaft keine Geschlechter. Die vorhergehenden Absätze in diesem Abschnitt sind also durchzustreichen. Eine Generaontologie hat hier nur einen Sinn im Hinblick auf die Zwiefalt des Seins selbst, die in den beiden vorigen Kapiteln skizziert wurde. Dadurch gäbe es höchstens ein Geschlecht der Männlichen und ein Geschlecht der Weiblichen, und auch diese Aufteilung ist insofern unhaltbar, als es nicht um eine Zweiteilung des Menschengeschlechts in zwei getrennte Klassen und nicht einmal um eine Aufteilung von Seienden gehen kann. Seinsgemäß kann eine Zweiteilung nur eine Sache des Seins selbst sein und die ist gegeben mit der Differenz zwischen Zwei und Drei, der zweiten und der dritten Person, zwischen der Dimension der ständigen dritten Person und der der enklitischen zweiten Person. Die Differenz ist Eins, die erste Person, die als Dasein zur Offenheit der Wahrheit des Seins in einem zwiefältigen Bezug steht, und diese erste Person ist dadurch sowohl männlich als auch weiblich, beiden Dimensionen ausgesetzt. Die Geschlechterontologie zielt demnach keineswegs auf eine Zweiteilung der Menschengattung, sondern auf die Zwiefalt des Seins. Die zusammengehörigen Geschlechter, die dadurch ans Licht kommen, sind nicht jeweils die Männer und die Frauen, sondern die Dimensionen der Männlichkeit und Weiblichkeit, leicht mißverständliche Titel für die Zwiefalt des Seins, aber insofern gerechtfertigt, als historisch in erster Linie der ontische Mann die eine Dimension, nämlich den traditionell metaphysischen Bezug zur Wahrheit des Seienden als solchen, im wissend-herstellenden Umgang mit den Seienden ausgetragen hat und besetzt hielt, die Frau hingegen für das Innenleben der Familie zuständig war.

  4. Den ontischen Unterschied zwischen Mann und Frau streicht man aber lieber durch. Generaontologie wird dadurch zum Titel für die Herkunft zwiefältiger Seinsweisen vom Sein selbst: Das Ereignis ereignet sich (mindestens) zwiefältig in die phallische Ständigkeit einerseits und die enklitische Weiblichkeit andererseits. In der vorliegenden Abhandlung wurde die erste Dimension des Waltens des Seins ausführlich dargelegt, die zweite hingegen lediglich skizziert. Dies entspricht wohl den Sachen selbst, dispensiert jedoch nicht davon, die entzüglich-enklitische Dimension kaum dazwischen weiter zu bedenken. Die Zwiefaltung des Seyns ist rätselhaft und fordert zum Weiterdenken auf.



      Anmerkungen 8. k)


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