kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


8. Der Mythos vom Phallus

d) Phallus als mythische Benennung des Werseins


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    8. d) Phallus als mythische Benennung des Werseins

  1. Es ist nun zu fragen, ob die Ständigkeit des den männlich Seienden als Wer wesenlassenden Seins auf eine herausragende Weise zur Sprache kommt, auf eine Weise, die das Männliche an der Gabe des Seins hervorleuchten läßt und so eindringlicher den Zusammenhang zwischen dem Sein und dem Männlichen fragwürdig macht. Erst eine Benennung könnte das Sein des Seienden (hier: des männlich Seienden) in die Unverborgenheit stellen. Diese Benennung ist ein Sagen, eine Sage, die sagt, als was der männlich Seiende ist. Die so verstandene Sage ist ein Mythos, aber keineswegs in einem dem Logos entgegengesetzten Sinn, sondern als ein Entwurf des Seins, der heute dem ersten Anfang nachgedichtet, in den Anfang zurückgedichtet wird. Das Sein des männlich Seienden als Seinsgabe hat in der Tat eine herausragende Benennung, die seine Wesensart als Wer zu Wort kommen läßt, die aber auch - wie alles Zu-denkende - sehr mißverständlich ist. Sie nennt sich Phallus, dessen Wortwurzel, rein etymologisch betrachtet, wohl der indogermanischen Wurzel bhel- "aufschwellen" entstammt. Hier allerdings wird weder etymologisch argumentiert, noch werden harmlose Sprachspiele angestellt, sondern: wir bewegen uns in der Sprache und horchen hin, zu hören, was sie uns zu sagen hat, wenn wir die in ihr zur Sprache kommenden Phänomene im Auge behalten und zugleich das Sein und seine anfängliche Wahrheit nicht aus den Augen verlieren. Das Wort "Phallus" zeichnet das 'Geschlecht' des männlich Seienden als ein vertikal Aufschwellendes, d.h. ein ständig Anwesendes aus. Der Phallus ist der höchste Name für das Sein des männlich Seienden als eines Ständigen, eines Seienden; Männlichkeit heißt ständiges Anwesen als seiender Mensch. Eine solche sagende Feststellung ist zugegebenermaßen 'brutal' und anscheinend willkürlich; nichtsdestoweniger stellt sie eine späte mythische Antwort auf das vom Sein geschickte Geschick der ständigen Anwesung dar.

  2. Ist der Phallus ein Symbol für das männliche Geschlecht, das seine kulturelle Vorrangstellung zur Sprache bringen soll? Ist er ein Symbol für männliches Sein bzw. für die Männlichkeit des Seins? Im herkömmlichen Verständnis ist ein Symbol ein Zeichen, das mit seinem Bezeichneten auf ganz eindringliche - etwa, affektgeladene - Weise verbunden ist, ein Signifikant mit seinem Signifikat eng verknüpft. Nach der psychoanalytischen Auffassung ist das Symbol mit Libido besetzt. Ein Symbol soll für etwas 'stehen' und ist deshalb nicht die Sache selbst, sondern ein Hinweis auf sie. Wir aber, indem wir phänomenologisch vorgehen, wollen sehen, wie sich der männlich Seiende von sich her und an ihm selbst zeigt, und nicht bloß ein Zeichen für ihn aufstellen, sondern das Sichzeigende so benennen, wie es sich zeigt. Es wurde unablässig nach dem Wesen des männlich Seienden gefragt - das freilich kein männlich Seiender und nichts bloß Männliches ist -, und wir wurden dabei auf das Wesen des männlich Seienden als Wer geführt. Der männlich Seiende kann nur als Wer wesen im Offenen der politischen Lichtung, nur dort ist er als ein Seiendes wahrzunehmen und so wahr, unverborgen. Er muß sich in der Lichtung des Mitseins hervorbringen, sich selbst entbergen und so seine Ek-sistenz ständ-ig führen. Als dieses Sich-selbst-machen ist seine Seinsweise physis. Wenn wir jetzt danach fragen, ob dieses Wesen als Wer eine hervorragende Benennung hat, welche die verschiedenen Strukturmomente der Werlichtung zusammenzieht und zusammenfaßt, dann fragen wir in der Tat nach einem Symbol, aber im ursprünglichen griechischen Sinn als einem "Zusammenwerfenden" und deshalb Sammelnden. Die Strukturmerkmale des Seins als Wer werden in den einen Namen 'Phallus' zusammengeworfen, d.h. zusammengezogen und -gefaßt, der folglich alle Weisen des ständigen Anwesens im Mitsein benennt, sei nun der Wer ein ruhmhafter oder ein könnender, virtuoser, denn männlich Seiend zu sein, heißt, in der ständ-igen Wahrheit des Seins zu wesen. Der Phallus als der Aufschwellende soll also als 'mythische' Benennung die Weisen des männlichen Werseins und zwar in seiner Ständigkeit 'zusammenwerfen'. Das Zusammenwerfende des Symbols faßt die verschiedenen Hinsichten, die die Kapitel 2 bis 7 herausarbeiten, - einschließlich der ständigen Vertikalität des Werseins - in ein einziges Wort, einen einzigen lógos zusammen. Dies ist die Wahrheit des männlich Seienden. Daß der Phallus den männlich Seienden und das männliche Geschlecht auszeichnet, ist wohl zweifellos; in seiner üblichen Bedeutung bedeutet er ja "membrum virile", das männliche Geschlechtsorgan, ein konkret-leibhaftes, handfestes, dem männlich Seienden zugehöriges Körperglied. Der Phallus als Penis zeichnet den männlich Seienden zunächst leibhaft aus. Der Phallus meint aber hier keineswegs den Penis und nennt nichts Leibhaftes, auch wenn im Wort ein unabweisbarer Hinweis auf das männliche Geschlecht steckt, sondern benennt allein die Männlichkeit, und d.h. hier die Ständigkeit, in der Wahrheit des Seins. Das Störende und Irreführende am Phallus als das zusammenwerfende und -fassende Symbol für das Wesen als Wer ist das vordringliche Bild eines leibhaften Riesenpenis, das, obwohl unübersehbar auf das Ständige hinweisend, auch am sichtbaren Seienden haftet. Der Phallus ist jedoch nicht sichtbar, sondern als Seinsweise verborgenen Wesens. Genausowenig allerdings ist der Phallus ein übersinnlich Seiendes als Ursprung und Ursache des männlichen Wesens. Das Bildhafte am Symbol des Phallus bringt ihn unvermeidlich in einen Zusammenhang mit dem Bild im griechischen Sinn, d.h. mit dem eidos. Der Phallus wäre demnach das eidos tou ándrou, die in der Metaphysik ungedachte und deshalb verborgene metaphysische Idee des männlich Seienden, die 'Mannheit' als ständige Anwesung; er benennt in einer mythischen Nachdichtung das Aussehen des männlich Seienden im wesenhaften Reich der Platonischen Ideen, d.h. das Aussehen des männlich Seienden als eines Ständigen, das sich als Seiendes unter Seienden in den Grenzen seines Erscheinens physishaft zu Stande bringt. Der männlich Seiende sammelt sich auf den Phallus, den Pol der Polis, der wiederum die verschiedenen Wesensmöglichkeiten des Werseins im Streben um die Ständigkeit - durch die Benennung entbergend - sammelt. Als Versammlung ist der Phallus lógos, was allerdings seinem mythischen Charakter keineswegs widerspricht. Vielmehr nennt der Mythos vom Phallus den verborgenen Gott der Metaphysikgeschichte, der im Streben der männlich Seienden um die Ständigkeit in der Lichtung unausdrücklich, d.h. unwissentlich, verehrt wurde und wird.



      Anmerkungen 8. d)


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