kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


6. Die Freundschaft: kaum dazwischen

c) Brüchigkeit des Fürsichseins


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    6. c) Brüchigkeit des Fürsichseins

  1. Obschon der Werseiende möglichst so tut, als wäre er Fürsichseiender, als hätte er eine eigene selbständige Substanz und Ständigkeit, erweist sich diese Erscheinung als Schein, denn die Selbstsetzung ohne Gehör beim Anderen ist nichts, geht ins Leere, ist unmöglich. So unendlich schwach und unselbständig ist der Wer in Wirklichkeit, daß er - möglichst unter der Tarnung einer vorgetäuschten Selbst-Ständigkeit - einen Spiegel beim Anderen erbetteln muß. Nicht daß diese Schwäche einem Mangel des individuellen Werseienden zuzuschreiben wäre, sondern das Wersein selbst ist das Ausgeliefertsein an die Sprache, die Mitwelt und das Gehör des Anderen. Und dennoch muß der Werseiende einen Grad an Fürsichsein, an Ständigkeit vorspiegeln, weil er sonst in den Augen des Anderen nichts sein kann. Wersein ist eine Sorge, ein Besorgtsein um seinen Stand und die Widerspiegelung dessen in den Augen des Anderen. Das Werstandsvermessen und die bestätigende Bespiegelung gehören also zueinander als Kehrseiten des Selben: Ohne das Vermessen hat der Wer keinen Stand unter den Ständigen errungen, aber ohne die im Gehör des Anderen mitgeteilte Welt bleibt sein Stand unreflektiert, d.h. ohne Ausstrahlung in die Mitwelt. Das notwendige Gegeneinander bis zur Niederlage eines Anderen ist eine Bewährungsprobe des Werseins des Wer, in der der männlich Seiende erst zu Stande kommt, aber das Echo im Gehör des Anderen gibt erst die Versicherung des eigenen Stands.

  2. Um Wer zu sein, muß ich Grenzen haben, da das Sein des Seienden durch die Grenze, den Umriß eines Anblicks de-finiert ist. Aber zugleich können diese Grenzen keine Autoproduktion sein, sondern sind teils durch eine Abgrenzung gegen den Anderen und teils durch das Rufen des Anderen hervorgerufen, was schon in unvordenklichen Zeiten durch meine Eigennamensgebung - wie in früheren Kapiteln beschrieben worden - geschehen ist, aber dann in jeder Bespiegelung im Gehör des Anderen wiederholt wird. In der Zusammenkunft werden teils die eigenen Grenzen nur dargestellt, um durch den Anderen bestätigt zu werden, teils aber werden sie aufs Spiel gesetzt, da der Widerspiegelung durch den Anderen in seiner Andersheit ausgesetzt. Ein heikles Spiel, wo der Andere womöglich nicht mitspielt, sondern als Anderer handelt. Aristoteles bestimmt einmal die Freundschaft als "mia psyche en duo somasin", eine Psyche in zwei Leibern. Diese Formulierung beschreibt eine Vereinigung, eine Verschmelzung der Seelen, die nur durch eine Auflösung von Grenzen stattfinden kann. Darin wird ein abgegrenztes Fürsichsein aufs Spiel gesetzt zugunsten eines Ineinanderfließens, was zugleich eine Relativierung an Ständigkeit bedeutet. Eine Vereinigung der Seelen ist nur insofern möglich, als der Eine meint, beim Anderen das Identische zu finden, impliziert also den Ausschluß des Widerspruchs, der Differenz zwischen zwei Seelen. Diese Art Freundschaft basiert auf Ähnlichkeit und war den Griechen offenbar nichts Fragwürdiges. Der Freund war gleichsam ein Identifikationsobjekt und nicht der Andere. Sofern die Psyche als die Trägerin der doppelten Wesensbestimmung des männlich Seienden als sprachehabend einerseits und als von der Sprache in Besitz genommen andererseits verstanden wird, wird 'eine Psyche in zwei Leibern' als die Möglichkeit des Sich-mitteilens in der Rede auslegbar. Dadurch transzendieren die beiden männlich Seienden die Beschränktheit ihrer Vereinzeltheit mittels einer widerspiegelnden Verbundenheit in der Sprache, worin sie feststellen, daß sie 'einer Meinung' sind. In der Zusammenkunft (und in der 'echten' Freundschaft; s.u.) jedoch muß ein solcher Grad an Vereinigung nicht erreicht sein, auch wenn sie maßgeblich auf Widerspiegelung und Bestätigung ausgelegt ist. Wenn als Wer zu sein, die Angewiesenheit auf den Halt von Haltungen mit sich bringt, dann bedeutet das Sich-mitteilen in der Zusammenkunft die Möglichkeit, einen Halt auch im Anderen zu finden. Wenn die persona nicht wehrhaft eingesetzt werden muß, erweist sich die Möglichkeit des Sich-mitteilens als haltsichernd und sogar als aufbauend, da die Notwendigkeit des Sich-behauptens vorübergehend wegfällt. Dies ist nicht bloß ontisch-psychologisch zu verstehen, sondern verweist auf den ontologischen Ort des Anderen für das eigene Wersein. Das Sein des Anderen wird nach Kräften vom eigenen Fürsichsein aus gesehen, der Andere ist möglichst der Andere-für-mich und nicht der Andere als solcher. Besorgt um das eigene Sein, ist der Andere für mich nur insofern, als sein Anderssein ein der-Andere-für-mich-sein ist. Dies könnte man zurecht Egozentrik nennen. Die Mitwelt baut sich konzentrisch um den eigenen Wer auf in einer Spiegelhalle des Narzißmus, in der der Andere als Spiegelhalter für mich nützlich ist. Der Eine verkehrt mit dem Anderen mit dem Ziel, einen Überschuß an Wer-Bestätigung zu erzielen. Er ist ein Kapitalist, der danach strebt, einen Mehrwert an Wer-Bestätigung in seine Identität einzuverleiben. Die Zusammenkunft ist ein Geschäft, was aber keinen Anlaß geben sollte, sie aus einer moralischen Ohnmacht heraus abzuurteilen, als sollte es bloß anders sein.



      Anmerkungen 6. c)


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