kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


6. Die Freundschaft: kaum dazwischen

b) Die bestätigende Bespiegelung in der Zusammenkunft


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    6. b) Die bestätigende Bespiegelung in der Zusammenkunft

  1. Die Sprache als Rede enthält also die Möglichkeit des Sich-Mitteilens, womit sich eine wesentlich neue Dimension des Werseins auftut: Nicht wird die Sprache nur zur Abgrenzung im Werstands-Vergleich eingesetzt, sondern die Rede selbst eröffnet die Möglichkeit einer Verständigung unter Werseienden. Auch nicht weil der männlich Seiende sich 'einsam' fühlte, ist er auf die Idee gekommen, mit anderen zu reden, sondern: als Sprache habender Werseiender ist er von den in der Sprache liegenden Möglichkeiten wesenhaft abhängig, d.h. diese Möglichkeiten müssen entfaltet werden, wenn der männlich Seiende wesensgemäß als in der Sprache wohnend existieren soll. Die Denkbewegung über das rein agonistisch-überhebende Aneinandergeraten hinaus wird somit als notwendige Möglichkeit gegeben, die zunächst die Möglichkeit des Sich-mitteilens ergreift. Der Prozeß der Anerkennung gewinnt dabei über die von Hegel beschriebene Agonistik hinaus (Kap. 5) eine zusätzliche Dimension: zunächst die Möglichkeit der bestätigenden Bespiegelung, wodurch der männlich Seiende Facetten seines Weraufbaus mitteilt und den Anderen nutzt, um sich zu bespiegeln. Das Sich-mitteilen in der Zusammenkunft überwindet oder zumindest mildert das bloß Vermessende und Abgrenzende des Aufeinandertreffens, indem es das eigene In-der-Welt-sein dem Gehör des Anderen aussetzt. Durch das Sich-mitteilen wird der Andere aufgefordert, verstehend zuzuhören. Der Drang, sich so oder so mitzuteilen, zeigt an, wie sehr das Wersein Mitsein ist.

  2. Kann die Überwindung der Agonistik als der Grund der Zusammenkunft gedacht werden? Können wir uns mit der Bemerkung von Francis Bacon, daß ohne wahre Freunde "the world is but a wilderness" als einer Erklärung für die Freundschaft zufrieden geben?[1] Die Wildnis im vorliegenden Kontext ist ein Verweis auf das unerbittliche Gegeneinander des wer-sein-müssenden Verkehrs unter männlich Seienden, was wiederum eine mögliche Übersetzung des Hobbeschen Kriegs aller gegen alle darstellt. Gewiß sind männlich Seiende dankbar für die Möglichkeit, einen Hafen der Entspannung vom Sich-wehren-müssen in der Zusammenkunft und noch mehr in der wahren Freundschaft (s. weiter unten) zu finden. Das Denken des Werseins jedoch beschränkt sich auf einen Umriß der Existenzmöglichkeiten, die durch das Sein als Wer gegeben sind, ohne sie als Ursachen für Erklärungsansätze einzuordnen. Die Zusammenkunft ist ein Existenzial, das existenzielle Möglichkeiten freilegt. Nicht aber wird die Möglichkeit der Zusammenkunft durch die Bedrängnis der durch die Agonistik angestrengten männlich Seienden ins Sein gerufen, auch wenn ontisch-existenziell sie als Grund dafür dienen kann, daß männlich Seiende sich als Begegnende und Freunde aufsuchen und damit die gegebene Möglichkeit ausnutzen. Vielmehr ist die Zusammenkunft eine seinsgegebene Möglichkeit des Mitseins, die lediglich auf dem hier begangenen Denkweg bestimmte Beziehungen zum agonistischen Aneinandergeraten unterhält.

  3. Schon die Wendung 'bestätigende Bespiegelung' ist ein Vorgriff auf das zu betrachtende Phänomen. Um Bestätigung und Bespiegelung soll es gehen. Wieso? Eine Bestätigung ist die Bestätigung einer Setzung, in diesem Fall, einer Setzung von sich selbst. Der Werseiende, namentlich durch das Sein gerufen, setzt sich, indem er sich in einen Werstand bringt, und braucht von der Mitwelt, daß diese Selbstsetzung noch einmal bestätigt wird. Wozu überhaupt sich setzen? Die Selbstsetzung ist die Weise, wie der männlich Seiende sich als Seiendes entwirft und so einen Platz unter den Seienden einnimmt. Das Sein als Wer gibt es nicht einfach so, weil etwa einer geboren wurde, sondern bedarf der Aktivität des Sichsetzens in der Welt, d.h. in der Mitwelt, denn alles Sein ist strittig in dem Sinn, daß es zur Ständigkeit herausfordert. Um zu sein, muß der Werseiende sich behaupten und seine Existenz führen. Das Sichbehaupten ist eine Selbstsetzung, die der Bestätigung der Mitwelt bedarf, d.h. das Wersein selbst geschieht nur mitweltlich, geht nur in der Mitwelt auf, die maßgebend Reden-über... sowie Reden-mit... ist. In der Rede jedoch vollzieht sich eine Anerkennung des Werseienden als solchen. Was der Wer von sich behauptet und mit seinem Eigennamen verknüpft - etwa sein Können, seine Virtuosität, seine Virilität -, um sich als Werseiendes zu setzen, wird in der Rede zurückgespiegelt und damit das eigene Sein als Wer bestätigt. Es geht nicht darum, daß eine Welt ohne Freunde "but a wilderness" wäre, auch nicht nur darum, daß die Mitwelt als Ort des Austrags der Agonistik unter den Werseienden ursprünglich Wildnis ist, die einen Stand als Seiendes erfordert und herausfordert, sondern um den einfachen Sachverhalt, daß die Existenz mitweltlich ist. Der Wer muß sich im Spiegel der Mitwelt sehen, um Wer zu sein, d.h. um überhaupt zu sein. Wersein ist damit - vor und unabhängig von aller Agonistik - notwendig ein Kampf um die selbstentwerfende Selbstsetzung, und damit ist eine Zusammenkunft mit dem Charakter der bestätigenden Bespiegelung seinsnotwendig. Solange der männlich Seiende ist und zu sein hat, ist er auf eine Bespiegelung seines Selbst angewiesen, er muß das bejahende Echo seines Eigennamens aus der Mitwelt hören und damit gerufen werden. Sonst ist das Selbstgespräch ein bloßes In-sich-drehen, um das eigene Sein selbstzu bestätigen, d.h. eine unmögliche Selbstproduktion wie beim berühmten Münchhausen im Sumpf. Das Wersein kann nicht reine Selbstschöpfung sein, sondern ist immer schon Schöpfung durch die Anderen der Mitwelt und deshalb auf den unaufhebbaren Unterschied zum Anderen angewiesen. Das Wersein ist immer schon und zuerst Sorge um sich, der Werseiende muß um sein eigenes Sein besorgt sein, weil es ihm nicht ohne weiteres gegeben ist. Das Ist des Wer ist nicht einfach gegeben, sondern vielmehr gefährdet mit der Folge, daß das Besorgen primär den Sinn eines Um-sich-selbst-besorgt-seins hat und haben muß. Der Werseiende muß sich als Seiendes wissen und vergewissern. Dazu muß er seinen Eigennamen als in der Mitwelt verankert wissen und ist deshalb der eigenen Existenz wegen auf eine Anerkennung bzw. Bespiegelung angewiesen.

  4. Der Andere bringt in der Zusammenkunft eine Bewegung in das Selbstgespräch und löst damit seinen nicht aufrechtzuerhaltenden Autismus zeitweilig auf. Die Ausgesetztheit der Ek-sistenz bereichert sich durch einen Anderen, der das eigene Sein als Wer teilt und es durch das bloße Hören zurückspiegelt. Im Sich-mitteilen teilt sich das nur dem Schein nach unteilbare Individuum in ein Wesen, das auf andere angewiesen ist, um seinen Stand als Seiendes zu halten, denn ein zoion apolitikon ist "entweder schlechter oder besser als ein Mensch"[2]. Wersein ist mitweltliches Sein, es ist Sein, das durch den Anderen vermittelt ist. Das in sich kreisende Selbstgespräch muß zum Gespräch mit einem Anderen als Anderem werden (was dann über die bloße Bespiegelung hinausgeht), damit der Werseiende nicht autistisch in sich zugrunde geht. Autismus ist eine Verfehlung des Anschlusses an die Mitwelt, ein privativer Modus des Anschlusses. Die Mitwelt öffnet die Möglichkeit des Sichmitteilens. In der Mitteilung kommt die Welt eines Einzelnen zur Sprache für den Anderen. Zugleich kommt die Welt eines Anderen zur Sprache für den Einen. Im Gespräch wird eine gemeinsame Welt geteilt, damit wird auch die Sorge um sich geteilt, womöglich verwandelt sie sich in Solidarität. Das Teilen von Welt findet statt (zunächst) in der Weise eines Sich-verstehens. Meine Rede wird vom Anderen verstanden, so wie ich die Rede des Anderen verstehe. In der Rede des Gesprächs kommt jeweils eine Welt zur Sprache. Das Teilen dieser Welten hängt davon ab, ob die Rede vom Anderen verstanden wird. Die Bespiegelung findet schon darin statt, daß der Andere meine Rede versteht. Um überhaupt reden zu können, muß ich dem Anderen unterstellen, daß er meine Rede versteht in der Weise, daß er Verständnis dafür hat. (Es geht ja nicht wie in der traditionellen Hermeneutik darum, eine Sache zu verstehen, sondern - in der Dimension des Werseins - darum, daß ich vom Anderen verstanden werde.) Nur so kann der Andere zu einem Hörenden meiner Rede werden als Bespiegeler meines Werseins. Sofern der Andere bloß Bespiegeler meines Werseins ist, schmiegt sich seine Rede meiner Rede an dergestalt, daß kein Riß zwischen mir und dem Anderen spürbar, daß eine scheinbare Identität gestiftet wird. Der Anderer als Bespiegeler - und nicht als Anderer - hat die Aufgabe, Verständnis für meine Geschichte aufzubringen, d.h. er soll meine Geschichte absegnen und sich ihr nicht querstellen. Er soll ein Yes-man sein, ein Werseinsbestätiger.

  5. Mitteilen - Hören - Verstehen: diese drei Elemente gehören in die Zusammenkunft hinein, und nur so kann der Wer mitweltlich sein. Im Gespräch werden zwei Welten vergegenwärtigt und in dieser Vergegenwärtigung gegenseitig verstanden. Da aber jeder in erster Linie um sich selbst, genauer: um sein eigenes Sein, besorgt ist, geht es primär darum, daß die eigene Welt vergegenwärtigt wird, und daß diese Vergegenwärtigung einen Hörer im Anderen findet. In der Zusammenkunft trifft mich das Glück, mir beim Anderen Gehör für meine Rede zu verschaffen. Daß der Andere umgekehrt bei mir im Gespräch auch Gehör findet, ist lediglich ein quid pro quo, da die Zusammenkunft eine Tauschtransaktion ist. Im Gehörtwerden bin ich für den Anderen in seinem Dasein da und finde somit eine Bestätigung meines Seins. Dasselbe tue ich aber für den Anderen, so daß daraus ein Austausch entsteht. Wir finden uns gegenseitig ineinander gespiegelt und damit bestätigt. In meinem Wersein bin ich nur, indem meine Welt eine Vergegenwärtigung im Gehör des Anderen erringt. Erst im Gehör eines hörenden Anderen, dessen Hören ich ihm unterstellen muß, bin ich aus dem autistischen Selbstgespräch einer versuchten und vergeblichen Selbstbespiegelung zumindest in die Möglichkeit eines Echos vom Anderen entlassen. Aus dem Mund eines Anderen höre ich dann auch noch meinen Eigennamen gesprochen und bin dadurch in meinem Sein bestätigt. Damit trete ich aber noch nicht aus der Dimension des Narzißmus, da die Andersheit des Anderen noch nicht zur Geltung kommt.

  6. Im Darstellungsversuch des vorliegenden Denkwegs findet eine Bewegung von der Selbstbezogenheit als Wer hin zum Anderen statt. Dieser besondere Umstand soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Bewegung in einer ursprünglicheren Dimension angesiedelt ist, nämlich in der Dimension des Mit-da-seins, die im folgenden auch weiter - vor allem in der Gestalt der Begegnung - zur Darstellung kommen soll. Vor jedem Fürsichsein oder jeder Begegnung usw. gibt es schon Mit-da-sein: Das Dasein erschließt die Welt so, daß sie Mit-Welt ist, d.h. Andere sind mit da im Da-sein der Welt. Das Dasein erschließt Andere als Mit-da-seiende, die ihr jeweiliges Da existieren. Das Sein geht sie genauso an und be-stimmt sie wie es das eigene Dasein angeht und stimmt und bestimmt. Auch die Anderen vermögen das Sein des Seienden zu erschließen, und das eigene Dasein vermag verstehend-befindlich zu erschließen, daß sie es zu erschließen vermögen. Nur so gibt es Mitverstehen und Mitbefindlichkeit, auf denen die Mit-Teilung von Welt beruht. Das Dasein teilt sein Da in der Welt, sein In-der-Welt-sein mit Anderen, was freilich nicht bedeutet, daß das Dasein gemeinsam mit Anderen in der Welt vorkommen und vorhanden ist, sondern daß das Da-sein und die Mit-da-seienden gemeinsam von der Wahrheit des Seins angegangen sind. Mitteilen, Hören, Mitverstehen beruhen alle auf dem Mitsein im Da. Das Dasein vermag die Anderen als Mit-da-seiende in seinem eigenen Verstehen und seiner Befindlichkeit zu erschließen; es 'kriegt' die Anderen mit, was hinsichtlich nichtdaseinsmäßiger Seiender nie der Fall sein kann. Das Miteinander-reden-können bzw. Mitteilen beruht auf dem Mit-da-sein und nicht umgekehrt. Wir sind mit im Sein; das Da-sein ist gemeinsam in uns, und wir vermögen den gemeinsamen Angang des Seins miteinander zu teilen und mitzuteilen.

  7. Von daher gesehen ist die Selbstbezogenheit des Narzißmus ein Auswuchs der neuzeitlichen Subjektität, die das Phänomen des Mit-da-seins immer schon übersprungen und das Sein im vor-stellenden Bewußt-Sein eingekapselt hat. Der An-Satz beim Wersein hingegen, der das Gerufensein der Eigengenanntheit in den Mittelpunkt rückt, verweist bereits im Ur-Sprung auf den Ruf des Anderen, was dann freilich im Lauf des Denkwegs ausgelegt werden muß.



      Anmerkungen 6. b)


    1. Zitiert nach David Bolotin Plato's Dialogue on Friendship Cornell U.P. 1979 p. 9. Back

    2. Art. Pol. 1253a 4. Back

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