kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


5. Agonistisches Aneinandergeraten

i) Sachliche Verbundenheit (Hegel)


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    5. i) Sachliche Verbundenheit (Hegel)

  1. Vorausgesetzt zunächst einmal, daß es den männlich Seienden als Wer gibt, ist es wesensnotwendig, daß die männlich Seienden agonistisch gegeneinander auftreten? Gibt es nicht auch die Möglichkeit einer neutralen sachlichen Verbundenheit, einer Gemeinschaft der Interessen, in der jeder das seine leistet, ohne überhaupt den Anderen erniedrigen oder überbieten zu wollen? Gibt es nicht auch die Möglichkeit der Freundschaft unter männlich Seienden, in der das agonistische Gegeneinander nicht bloß aufgehoben, vorläufig ausgesetzt, sondern völlig überwunden ist, und in der die männlich Seienden den Weg zueinander in einer Wehrlosigkeit finden? Diese Fragen liegen auf der Hand und dürfen nicht zu leicht genommen werden. In diesem Kapitel wenden wir uns zunächst den ersten beiden zu; die letzte wird für das nächste aufgehoben.

  2. Die sachliche Verbundenheit - was heißt das? Macht das schon eine Art Freundschaft unter den männlich Seienden aus? Hegel schreibt vielsagend hierzu in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion:

  3. Und an einer anderen Stelle schreibt er für seine Schüler am Nürnberger Gymnasium als "Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse" (1810 ff):

  4. Diese beiden Stellen sagen vermutlich etwas Wahres über das Wesen der Bindung unter männlich Seienden aus, sofern Hegels Philosophie die Wahrheit des Menschenwesens als Selbstbewußtsein denkt. Nach Hegel situiert sich die Freundschaft ausschließlich im gemeinsamen Bande; es gebe nichts darüber hinaus: auch keine Männerfreundschaft, die auf persönlicher Zuneigung als solcher beruhte. Die gemeinsame Sache, die Männer miteinander verbinden kann, knüpft sich an ein gemeinsames Werk, das auch auf dieses Moment der Gemeinsamkeit angewiesen ist; das gemeinsame Werk - ein ständig Seiendes, das in seine Grenzen zum Stehen kommen soll - bedarf der Kooperation einiger oder vieler männlich Seienden, um verwirklicht zu werden, keiner kann es allein, auch wenn die individuelle Arbeit des Einzelnen-für-sich am Werk keineswegs wegfällt. Einsame und gemeinsame Tätigkeit verschränken sich in der Vollbringung eines gemeinsamen Projekts, das aber im Entwurf jedes Einzelnen mitentworfen ist. Dies ist eine Freundschaft der Nützlichkeit, wie sie schon Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik thematisierte. Oder es ist das Selbe wie die erotische Verbundenheit der philosophierenden Männer im Streben nach der Idee. Hegel hat insofern einen prosaischen Blick auf die Freundschaft wie auch einen Platonischen. Zusammen wird das gemeinsame Werk zustande gebracht und in der Lichtung aufgestellt, womöglich in der Weise eines wissenschaftlichen Gelehrtenstreits, da das Wesen der Wahrheit das Gegeneinander der wahrheitbeanspruchenden Aussagen, Urteile, Theorien usw. keineswegs aus-, sondern einschließt. Die Werstandskräfte kommen nur vereint ans vorgenommene Ziel, das allerdings noch gegen die Anderen errungen werden muß, sei es ein ökonomisches Ziel, sei es ein wissenschaftliches oder künstlerisches oder etwas anderes. Die Gegnerschaft unter den Werseienden reproduziert sich lediglich auf erweiterter Stufenleiter, wo es um die Verwirklichung gemeinsamer Werke geht. Die sachliche Verbundenheit ist ein Band, das die Verbundenen gegen die Anderen vereint; die persönliche Zuneigung erhält dabei nur den Rang eines untergeordneten Moments, das nicht so stark werden darf, daß es das Band dominieren oder gar sprengen könnte. Erst der gemeinsame Kampf schweißt die Verbundenen als Verbündete in gemeinsame 'Blutsbande', einen Arbeitsbund oder dergl. zusammen. Die Anderen als Gegner gibt es immer, und sei es, daß - und wohl besonders dann, wenn - die Verbündeten sich auf die allgemeine Menschenliebe einschwören. Selbst unter den sachlich Verbündeten bedeutet die gemeinsame Sache keineswegs, daß die Gegnerschaft aufgehoben worden ist, denn: "Unter der Maske des Füreinander spielt ein Gegeneinander." Der Bund schließt keineswegs Rivalitäten aus. Heidegger läßt hier seine Erfahrungen im Mansein so zu Wort kommen, daß die Auslegung des Werseins als Agonistik Bestätigung findet. Er denkt indes an anderen Stellen auch eine Eigentlichkeit. Ist in der Eigentlichkeit zumindest nicht die Möglichkeit eines uneingeschränkten Füreinanders gegeben, auch wenn außerhalb des Bandes die Agonistik noch wütet und vorherrscht? Haben Eigentlichkeit und Freundschaft miteinander etwas zu schaffen? Diese Fragen werden im nächsten, der Freundschaft gewidmeten Kapitel aufgenommen.

  5. Die gemeinsame Sache, die männlich Seiende miteinander verbindet, begründet anscheinend dadurch eine Notgemeinschaft, daß die männlich Seienden aufeinander angewiesen sind, um ihr gemeinsames Ziel zu erreichen. Diese Überlegung ist gewiß eine Trivialität. Wir fragen deshalb weiter nach dem Charakter des Werkes, das nur gemeinsam vollbracht werden kann. Das Werk ist ein Hervorgebrachtes, das Ergebnis eines Hervorbringens, das ein Seiendes in die Unverborgenheit hineinführt und aufstellt. Das Hervorbringen, die poiesis verwirklicht die männliche Wahrheit, d.h. den Stand als Wer in der Lichtung, in einer Konkurrenz der Werseienden. Das Hervorgebrachte läßt sich nur in die Unverborgenheit stellen, wenn zugleich und in eins damit die Hervorbringer sich gegen die Anderen durchsetzen. Den Kampf um die Wahrheit eines Hervorgebrachten gibt es nur als Wer-Agonistik, in der die Werseienden sich gegenseitig zeigen, was sie können und sich damit vertikal gegenseitig überbieten. Das Ins-Werk-setzen der Wahrheit, das in der kreativen Tätigkeit vollzogen wird, ist auch ein Streit unter den Werseienden und nicht nur ein Streit zwischen Welt und Erde, wie Heidegger ihn entwirft. Das Wesentliche an der sachlichen Verbundenheit ist, daß die Werseienden auf ein Seiendes gerichtet sind, und ihre eigene Ständigkeit aus dem könnend-wissenden In-Grenzen-schlagen eines Ständigen beziehen.

  6. Die männlich Seienden sind einander förderlich, sie bereichern gegenseitig ihre Existenzmöglichkeiten. Auch wenn es nicht darum geht, "ein gemeinsames Werk miteinander zu tun", sondern darum, daß jeder allein eine Sache weiterträgt, kann noch die Rede von einer sachlichen Verbundenheit sein, die das Band unter männlich Seienden schmiedet. Es geht den verbundenen Männern um 'eine Sache' die hervorgebracht und aufgestellt werden sollte. Die hervorzubringende Sache bildet die Vermittlung zwischen den männlich Seienden, ihr gemeinsames Interesse oder Ideal. Wegen dieses gemeinsamen Interesses sind sie einander förderlich in der Herausstellung der jeweiligen Sache. Jeder ist interessiert, er hält sich unter den Seienden auf und ist daran interessiert, Seiendes hervorzubringen. Der Andere wird im Hinblick auf eine Sache, ein Hervorzubringendes oder dergleichen verstanden und so als Mitwirkender. Das bedeutet nicht, daß der Andere 'bloß' als Mittel benutzt wird, sondern daß sich die Verbundenheit im Umgang mit Seienden abspielt. Der Andere ist also auch ein Seiendes, und die Verbundenheit ist keineswegs eine schlichte gemeinsame Zugehörigkeit zum Da als Stätte des Ereignisses.



      Anmerkungen 5. i)


    1. Hegel Werke 17:304 Back

    2. Hegel Werke 4:271 H.i.O Back

    3. Back

    4. Back

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