kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


5. Agonistisches Aneinandergeraten

d) Agonistik


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    5. d) Agonistik

  1. In einem gewissen Sinn sind die griechischen Bildungen "agonisma" und "agonismos" für das Gegeneinander in der polis geeigneter und unmißverständlicher als das Wort Polemik, da agonisma den Kampf sowohl in der Schlacht als auch vor dem Gericht, d.h. die Prozeßführung, und agonismos den Wetteifer, wie z.B. im Wettkampf, bedeutet. Agon bedeutet Kampfplatz sowohl wie Versammlungsplatz, da es den griechischen, ursprünglich politischen Erfahrungen des Miteinanderseins entspricht, daß in den Versammlungen verschiedenster Art ein Wettkampf unter den männlich Seienden ums Sein unter den Seienden ausgetragen wird. Das Verb in der medialen Bildung schreibt sich agonizesthai und bedeutet "kämpfen": in der Schlacht, vor Gericht, im schauspielerischen Wettkampf sowie "öffentlich sprechen und disputieren", was mit dem agoreuein und dem katagoreuein, dem öffentlichen Ansprechen bzw. Anklagen einer Sache zusammenhängt. Die Substantivbildung agonia schränkt diese Bedeutungsvielfalt etwas ein, zumindest in der Überlieferung, wo die Bedeutungen "Angst", "Aufregung" und "schmerzhafte Anstrengung" dominieren, aber selbst diese Bildung bedeutet ursprünglich auch "Rechtsstreit". Wegen der Andeutungen auf das kämpferische Gegeneinander im Miteinander der männlich Seienden im Miteinander selbst ziehe ich die Wörter "Agonistik" und "agonistisch" der Alternative "Polemik" und "polemisch" vor, um den alltäglichen Wetteifer und das Streben der männlich Seienden untereinander im Aus- und Auftrag des Seins hervorzuheben. Die männlich Seienden sind als Wer der anstrengend-aufregenden Agonistik des Gegeneinander stets ausgesetzt und so auf die Probe gestellt. Sie müssen um den Stand ihres Rufs bangen, den Gefahren einer Niederlage als Wer zu entgehen trachten.

  2. Im Alltag treffen die männlich Seienden aufeinander als Werseiende, die ihre Erscheinungsweise als Wer dar-stellen müssen und zwar in der Weise, daß sie ihre Larven in einem günstigen Licht gegenseitig auf- und hinstellen. Der Andere bietet eine Folie zur Darstellung des eigenen Wer, insofern der Eine den Larven-Komplex des Anderen überbieten kann. Dieses im Alltag erscheinende Larven-Kompositum wird hier die männliche persona genannt.[1] Sie macht gleichsam die äußere, in den Alltag der polis hineinscheinende und dort scheinende Schicht des Wer aus im Unterschied zu einem intimeren, schutzbedürftigeren Selbst, das der männlich Seiende nur in der Geborgenheit der Freundschaft oder der Liebe (vgl. Kap. 6-7) hervorscheinen läßt. Die persona ist die alltäglich vertretbare Erscheinungsweise des männlich Seienden, die es als wehrfähiger Larven-Komplex schützt und durch das tägliche Geschäft trägt; sie erscheint, damit das verletzbare Eigenste am Selbst, das in der Öffentlichkeit Nicht-vertretbare im Miteinander nicht erscheint, sich an sich halten kann. Die Person (Kap. 2) fällt damit in die persona und das Eigenste (Private, idios) auseinander, ein 'Außen' und ein 'Innen', ein Unverborgenes und ein dem Blick der Mitwelt Verborgenes. Während der Ruf als mitweltliche Erscheinungsweise des Wer und deshalb als zum Wer zugehörig auch in der Öffentlichkeit erscheint und der öffentlichen Rede unterworfen wird, schließt die persona als Erscheinungsweise auch und besonders die leibhaft-gegenwärtige Anwesenheit des männlich Seienden in einem Aufeinandertreffen in der alltäglich-politischen Lichtung ein. Der (sprachlich verfaßte) Ruf geht also der leibhaften Anwesung der persona voraus.



      Anmerkungen 5. d)


    1. Die Persona ist u.a. ein Terminus der Analytischen Psychologie C.G. Jungs, der hier auf andere Weise, weil in anderem Kontext, gedacht wird. Back

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