kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


3. We(h)rlosigkeit des Versagers

c) Eine Weigerung


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    3. c) Eine Weigerung

  1. Die Werlosigkeit als entsagende Versagung ist ebensowohl die Verweigerung eines Sichabfindens mit den üblichen Identifikationsmöglichkeiten, mit den durchschnittlichen, Ansehen versprechenden Haltungen, die immer schon als fade, öde abgewertet worden sind. Der Entzug des Werstands schwankt zwischen einem Sich-nicht-finden-können und einem Sich-nicht-finden-wollen in den sich anbietenden Entwürfen hin und her. Der Versager ist auch zuweilen - aber keineswegs immer, da es noch viele Möglichkeiten der inneren Auswanderung gibt -ein entfremdeter Außenseiter der Gesellschaft. Der Wille jedoch spielt in diesem Hergang des Werstandsentzugs eine weithin untergeordnete Rolle. Der Werstandsentzug ist grundsätzlich willenlos, er beruht auf einem Rückzug des Seins als ständiges Anwesen, das den Wer sich entwerfen läßt. Bezogen auf den heutigen Welt-Zustand heißt dies[1]: die menschensubsumierende, heute mehr denn je weltumspannende Gesamtvernetzung des Kapitals, die vielfache Identitätsmöglichkeiten im ökonomischen Leben bietet, als Erfolgreicher Wer zu sein, ver-sagt als Laufbahn eines abgesicherten Wer. Das Kapital, das sich über den einzelnen Willen hinweg im endlosen Kreislauf des sichverwertenden und -häufenden Werts vergegenständlicht hat, findet im Außenseiter kein adäquates Subjekt und keinen passenden Angestellten, das bzw. der dazu beitragen könnte, das unaufhaltsame Kreisen am Laufen zu halten. Die Erscheinung des Außenseiters ist jedoch zu oberflächlich, als daß sie die Gestalt des Versagers ausschöpfen könnte, denn es geht nicht um Lebensweisen bzw. Lebensstile, sondern um eine Frag-Würdigkeit und Unbeständigkeit nicht lediglich des Wer, sondern des Wer-Seins selbst. Indem das Sein als ständige Anwesung des Seienden sich zurückzieht, verschließt sich der Zugang des Wer zur Gesamtheit des Seienden dergestalt, daß die Totalität gänzlich sinnlos wird. Der versagende Wer findet sich nicht unter den vom Kapital mobilisierten Seienden.

  2. Erfolgversprechende Larven des männlich Seienden sind u.a. Verhaltensweisen, die in irgendeiner Hinsicht einen Durchblick in die Zusammenhänge der Welt vorweisen. Der erfolgreiche Wer ist häufig ein Durchblickender, der auf einem besonderen Gebiet eine überlegene Erschließungskraft aufweist. Er vermag das Seiende zu enthüllen, er verkörpert eine überdurchschnittliche individuelle Entbergungskraft. Wenn zunächst einmal das Geldverdienen als Maßstab des Erfolgs angenommen wird, zeigt sich ohne weiteres ein Zusammenhang zwischen diesem Erfolg und einem klugen Durchblick in die ökonomischen Sachverhalte der den Betroffenen tangierenden Umwelt. Die Klugheit besteht in einer in irgendeiner Hinsicht den anderen überlegenen Erschlossenheit der Bewandtniszusammenhänge der Welt, eine Überlegenheit, die dem Wer hervorzuscheinen erlaubt. Dieses überlegene Sichauskennen in den Weltzusammenhängen setzt freilich ein Seinsverständnis, d.h. eine erschließende Eingelassenheit in die Offenheit des Seins des (heute vom Kapital und Technik beherrschten) Seienden voraus, das keineswegs dem überlegenen Sichauskennen gleichzusetzen ist.

  3. Die Ausgangslage des Erfolglosen ist zumeist so, daß er keinen Anlaß hat, in seiner Erfolglosigkeit die Spuren eines Unerfolg-Reichtums zu finden. Die Verknüpfung des Eigennamens mit geeigneten haltgebenden Larven, die einen Platz in der Welt gewähren, gelingt ihm schlicht nicht, und sei es lediglich dadurch, daß er sich - aus welchem Grund auch immer - mit dem Larvenangebot an Entwurfsmöglichkeiten nicht abfinden kann und will. Das Sich-nicht-abfinden-wollen setzt zum einen eine Widerständigkeit als Trotz (also keine bloße Passivität und Lethargie) und zum anderen eine gewisse, die übliche Klugheit übertreffende Hellsichtigkeit und eine ungewöhnliche Vereinzelung voraus. So gesehen ist das Versagen eine Weigerung, in einem geschäftigen Besorgen des Seienden bloß aufzugehen und dies Aufgehen als Erfolg zu verbuchen. Das (Nicht)Können und das (Nicht)Wollen des widerständigen, spröden Wer befinden sich beide in einer Dimension des freien Offenen, die den männlich Seienden ebensosehr beansprucht, wie er sie durchmißt. Wer möchte es heute noch wagen, die Freiheit als etwas bloß Subjekthaftes festzulegen und so das Zweideutige des männlich Seienden als eines sich wählenden Wer-seienden einerseits und als eines vom Sein in Anspruch genommenen und herausgeforderten Eigengenannten andererseits zu entscheiden?



      Anmerkungen 3. c)


    1. Es sei noch einmal auf mein Buch Critique of Competitive Freedom... 1984 sowie auf meinen 1995 Aufsatz bei 'Kapital und Technik: Marx und Heidegger' verwiesen. Back

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