kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


2. Männlichkeit als Wersein

g) To zoion onoma echon


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    2. g) To zoion onoma echon

  1. Der männlich Seiende west als Namensträger, er west als to zoion onoma echon, als das namenhabende Lebende, und 'ist' sonst nicht im Da: er ist in die Namenhaftigkeit immer schon, wenn auch in einem privativen Modus davon, gerufen-geworfen. Der Wer ohne Namen wäre unwahr, denn der männlich Seiende wäre dann als Wer verborgen. Die Lichtung, in der der männlich Seiende als Wer erscheint, ist in erster Linie die (sprachliche) Offenheit des Miteinanderseins. Das Miteinandersein ist die polishafte Weise der Unverborgenheit und des Sichzeigens des männlich Seienden in der Rede. Das Miteinandersein läßt es zu und ernötigt es, daß der männlich Seiende als Wer erscheint. Im Griechischen heißt der Ort des männlichen Miteinanderseins die polis. Vor allem als - im griechisch verstandenen Sinn - politischer Mensch, als Mitglied der in ihrer eigenen Art offenen polis west der männlich Seiende als Wer. Es ist dies das zoion politikon des Aristoteles, übersetzt auf ungewöhnliche Weise. Die polis muß als geschichtliche Stätte (der Wahrheit) der Männlichkeit, als Ort der Menschheit als Offenständigkeit in der Lichtung der Wahrheit des Seins gedacht werden. Vorausgesetzt, daß wir die Wahrheit selbst auf die Frage nach dem Wesen des männlich Seienden zu(rück)denken (die Wahrheit des männlich Seienden selbst und nicht eines anderen Seienden steht ja hier einmal in Frage), können wir einen Einblick darein gewinnen, daß das im ursprünglichen Sinn gedachte politische Miteinandersein der ursprünglichste, ausgezeichnete, ermöglichende Ort der männlichen Wahrheit ist.

  2. Es sei hier darauf aufmerksam gemacht, daß die berühmte Stelle bei Aristoteles, wo er die Wesensbestimmung des Menschen als zoion politikon angibt, zugleich die Stelle ist, wo vom Menschen als to zoion logon echon die Rede ist (Pol I 1, 1253a). Der Mensch ist nach Aristoteles das einzige Lebende, das den Logos hat. Hier jedoch ist davon die Rede, daß der männlich Seiende dasjenige Lebende ist, das einen Namen, einen Eigennamen hat: to zoion onoma echon. Dies ist eine ungewöhnliche, aus der Tradition herausfallende Formel, die viele Fragen in sich birgt, da schon allein die Struktur derselben nichts Selbstverständliches ist: Der männlich Seiende wird als ein Lebendes bestimmt, das darüber hinaus, d.h. erst abgeleitet, die Auszeichnung eines Eigennamens trägt, und erweist damit eine Parallelität zur Wesensbestimmung des Menschen auf als eines Lebenden, das - darüber hinaus - den Logos (die Sprache) hat. Es ist jedoch keineswegs leicht zu sagen, was das Lebewesen ist, bzw. was das Wesen des Lebens ausmacht, und es wird auch hier kein Versuch unternommen, das Wesen des Lebens zu klären.[1] Lediglich das Logos-haben und das Onoma-haben werden hier in ihrer Parallelität und Unterschiedlichkeit thematisiert. Wersein ist die angemessene Weise, dieses In-der-Welt-sein zu durchdenken, da es im Gegensatz zur Egoität - die Einverwobenheit des Wer in die Mitwelt aufzeigt, d.h. den Wesenszusammenhang zwischen dem zoion logon echon und dem zoion politikon.

  3. Das Logos-haben läßt sich zunächst als Sprache-haben übersetzen: der Mensch ist das einzige Lebewesen, das reden kann. Aber Heidegger läßt die Sache so nicht zur Ruhe kommen, sondern deutet das Logos-haben als eine Offenheit für das Seiende als solches, wobei ein Hauptgewicht auf das Als gelegt wird. Nur dem Menschen sei das Seiende als Seiendes zugänglich, nur der Mensch vermag Seiendes in die Grenzen seiner Seiendheit zu stellen und damit zur Sprache zu bringen. Dieses Vermögen des Menschen ist eine Ausgesetztheit, eine Ausgeliefertheit an das Sein und insofern auch eine Geworfenheit. Der Mensch vermag und ist dazu verurteilt, das Seiende als ein solches in den Logos zu sammeln und damit zur Sprache zu bringen. Hingegen spricht die Formel Onoma-haben etwas anderes an, und zwar auf einer anscheinend weniger tiefen Ebene, denn es geht nicht mehr um die Sprachfähigkeit des Menschen, sondern lediglich darum, daß der Mensch, genauer der männlich Seiende, einen Eigennamen trägt. Schon die Verschiebung vom Menschen zu männlich Seiendem ist irritierend, so der Hinweis auf die Tatsache der bloßen Eigennamenträgerschaft erst recht. Wenden wir uns eindringlicher der Eigennamenträgerschaft zu.

  4. Der Mensch hat den Logos, die Sprache; der männlich Seiende hat einen Eigennamen. Was bedeutet letzteres? Vom Namen und von der Eigenheit des Namens ist die Rede. Der männlich Seiende trägt einen Namen, eine sprachliche Auszeichnung als seine eigene, die zugleich seine sprachliche Ortsbestimmung darstellt. Der Eigenname verweist damit unweigerlich auf die Sprache, auf die Situiertheit bzw. Verwurzeltheit des männlich Seienden als Sich in ihr. Der Eigenname ist eine Reflexion der Sprache auf den männlich Seienden, wodurch er eigen, ausgesondert, vereinzelt wird, wodurch er sich selbst wird. Wodurch nimmt der männlich Seiende sich selbst als Selbst in Besitz, wenn nicht durch die Sprache, und zwar in erster Linie so, daß er selbst einen Namen trägt und so sich selbst benennt? Der Eigenname ist seine Einsetzung in die Sprache. Was aber hat diese Einsetzung mit dem Logos-haben zu tun? Ist es so, daß dem männlich Seienden sich selbst als ein Seiendes erst dadurch zugänglich wird, daß er einen Eigennamen hat? Der männlich Seiende erschließt das Seiende als solches und auch sich selbst als ein Seiendes. Nicht nur erschließt er Seiendes in der dritten Person, sondern auch in der ersten (hier bleibt die zweite zunächst ausgeklammert - vgl. aber Kap. 6). Dies ist eine Bewegung der Reflexion, es ist der Blick des männlich Seienden in den Spiegel der Sprache. Dieser Spiegelblick des männlich Seienden in die Sprache, wodurch er zunächst und grundsätzlich sich selbst als ein Seiendes in seiner Eigenheit und Selbstheit erschließt, kann sich nicht darin erschöpfen, daß er sich selbst als einen Menschen oder einen männlich Seienden oder ein Subjekt etc. im Allgemeinen erkennt, sondern seine Eigenheit und seine Sich-selbst-Gehörigkeit kommen erst darin zustande, daß er sich selbst in seiner exklusiven Eigengenanntheit erschließt. Die Selbstheit des männlich Seienden läßt sich nur über eine Eigengenanntheit in der Sprache konstituieren, und erst dadurch erschließt er sich selbst als ein Seiendes in seiner Selbigkeit. Der Eigenname grenzt den männlich Seienden von jedem anderen ab, sonst ist er nicht in seiner Einzigkeit. Es reicht nicht, daß er sich lediglich als einen Menschen erkennt, denn die Seiendheit und die Selbstheit des männlich Seienden sind gleichursprünglich; er ist ursprünglich sich selbst. Sonst ist er nicht. Seiendheit, Sprachlichkeit und Selbstheit liegen alle auf der gleichen, gleichursprünglichen Ebene. Man könnte die "metaphysische Isolierung" des männlich Seienden als die Eigengenanntheit in ihrer ganzen Tragweite deuten, denn die Einsamkeit des männlich Seienden als erste Person in einem metaphysischen Sinn hängt wesentlich mit der Erkanntheit von sich selbst in der Sprache zusammen. 'Ich bin, der ich bin' muß einen Eigennamen tragen, es kann nicht anonym bleiben. Die erste Person trägt immer schon einen Eigennamen. Deshalb muß das Cartesische 'Ich denke, also bin ich' als 'Ich denke meinen Eigennamen, also bin ich ich selbst' übersetzt werden. Nur so erschließt der männlich Seiende sich selbst als sich selbst, d.h. als solcher. Als Wer.

  5. Bekanntlich hat Lacan die Konstituierung des Ich an der Einlassung und Nötigung in die symbolische Ordnung, d.h. in die Sprache, festgemacht, freilich ohne das Phänomen des Eigennamens bzw. der Eigengenanntheit in Betracht zu ziehen. Aber schon die Aristotelische Formel des zoion logon echon birgt die tiefe Einsicht in die sprachliche Verfaßtheit des Menschenwesens in sich. Hier wird allerdings in die Richtung eines zoion onoma echon, genauer, eines zoion idios onoma echon eine Umdeutung vorgenommen, indem der männlich Seiende als das Lebende, das seinen Eigen(idios)namen hat, gesetzt wird. Diese Setzung ist in der Tat in einem wörtlichen Sinn eine These, die sich noch weiter phänomenologisch ausweisen muß, was in den weiteren Ausführungen geleistet werden soll. Denn vor allem ist es alles andere als selbstverständlich, daß dem männlich Seienden und nicht dem Menschen eine Wesensbestimmung zugesprochen wird, zumal man nicht ernsthaft (oder doch?) behaupten kann, die Frau habe keinen Logos, keine Sprache, keinen Eigennamen. Bereits eingangs jedoch wurde ausgemacht, daß hier nicht von der Frau die Rede sein kann, sondern höchsten von der Weiblichkeit. Hat denn die Weiblichkeit keinen Logos, keine Sprache, keinen 'Eigennamen'?

  6. Hier nur noch ein knapper, grober, empirischer Hinweis, der keine starke Beweiskraft beanspruchen kann noch will, da die Wahrheit des Seins sich mit der Wahrheit des Seienden nicht deckt: Im abendländischen Patriarchat (und nicht nur dort) sind es nur die Männer, die die Ungebrochenheit eines Eigennamens in ihrer Existenz behaupten konnten. Es ist wohl kein Zufall, daß die Frage der Eigennamenträgerschaft in der Mitte der Auseinandersetzungen steht, die durch die geschichtliche Bewegung zur Befreiung der Frau als Subjekt in der Neuzeit ausgelöst worden sind. Dies spiegelt sich beispielhaft im Streit um die Gesetzgebung hinsichtlich des Namens, den eine Ehe und eine Familie zu tragen hat. Erst langsam setzt es sich durch bzw. hat es sich durchgesetzt (wohl zuletzt im nicht liberalen Deutschland), daß die Frau ihren eigenen Namen in der Ehe behalten darf. Die Kontinuität einer Existenz (individuelle Geschichte) und die Kontinuität des Eigennamens während einer Existenz sind eng miteinander verknüpft. Dieser empirische Hinweis läßt sich metaphysisch vertiefen durch Überlegungen wie die obigen: Eigengenanntheit und Selbstheit gehören zusammen. Die Selbstverständlichkeit des Eigennamens im philosophischen Diskurs, d.h. seine Unthematisiertheit, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Phänomen der Eigengenanntheit ein Problem verborgen liegt, das geschichtlich erst vor der Folie der Frauenbewegungen in einem geschichtlich weiten Sinn erscheinen konnte. Es gilt, sich den Kopf philosophisch darüber zu zerbrechen, daß der Eigenname zu einer politischen Streitfrage hat werden können.



      Anmerkungen 2. g)


    1. Vgl. jedoch Heidegger, Gesamtausgabe Bd.29/30, wo diese Frage eine tiefgehende Behandlung erfährt. Vgl. auch D. F. Krell Daimon Life Bloomington, Indiana U.P. 1992, der eine scharfe Kritik an Heideggers Versuch vorbringt. Back

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