kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


2. Männlichkeit als Wersein

c) To onoma


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    2. c) To onoma

  1. Die Beständigkeit des Eigennamens, seine Rolle als fester Bezugspunkt und Anker in der Existenz, kommt in einem allgemeineren Zusammenhang bei Aristoteles zur Sprache, wo er die einfache Aussage und ihre zwei Bestandteile, das onoma und das rhema, analysiert. Ganz allgemein behauptet Aristoteles, das onoma sei "ein Bedeuten ohne Zeit", das rhema hingegen meint "die Zeit dazu" in einem Bezug auf das, worüber gesprochen wird.[1] Das onoma heißt zu Deutsch ungefähr 'Hauptwort', das rhema ist dagegen das Verbum, das Zeitwort. Bezogen auf das Phänomen des Wer gewinnen diese Bestimmungen der Bestandteile der einfachen Aussage eine andere Perspektive, eine andere Nuance. Wenn im Eigennamen so etwas wie ein "Bedeuten ohne Zeit", ein bedeutendes Außerhalb-der-Zeit-stehen steckt, dann erhebt sich der Wer über die Zeit im Eigennamen. Das Verbum andererseits, hier auf den Wer bezogen, bringt das Verhalten und das Handeln der Existenz zum Ausdruck, ihr In-der-Zeit-sein. Die einfache Aussage, die haple apophansis, ist damit mit Zeit durchtränkt, aber bezeichnenderweise in einem angeblich zeitlosen und einem zeitbezogenen Teil aufgeteilt, als könnte das Hauptwort vor der Zeit gerettet werden. Ist das onoma damit ein Aufspreizen des Substantivs, des Was, des Wesens gegen die Zeit? Weit davon entfernt jedoch, der Zeit zu entrinnen, bedeutet das onoma eine Beständigung in der Zeit. Das Wesen, das Wassein ist bekanntlich das, wodurch etwas ist, was es ist, und es ist in seinem Wassein beständig gegenüber der Wechselhaftigkeit des unwesentlichen Soseins. Das Wersein ist also in dieser Hinsicht das Wassein auf das männliche Dasein zurückbezogen und bedeutet somit zunächst eine kleine Abwandlung, ein leichtes twisting oder Verdrehen der traditionellen Metaphysik. Im Eigennamen wird eine Beständigkeit des Anwesens des männlich Seienden erreicht und gesetzt und damit sein Sein - verstanden als ständige Anwesung - in einem ersten Ansatz bestimmt. Der Eigenname als die sprachliche Fixierung einer vereinzelten Existenz erhebt sogleich den Anspruch auf eine Unsterblichkeit jenseits des Schicksals des erdhaften Leibs und des zeithaften Handelns. Steckt schon in der einfachen Aussage und ihrer Aufteilung in zwei zeitlich entgegengesetzte Komponenten ein Streben des redenden Menschen nach Unsterblichkeit?

  2. Bei den Griechen ist die Dimension der Eigengenanntheit deutlich nachzuspüren. Dem Leib, dem soma wird der Eigenname, das onoma, als Dimension der Unsterblichkeit gegenübergestellt. Der Leib kann vernichtet werden, während der Name im Ruhm fortlebt. So spricht Iphigenie in Euripides' Iphigenie in Aulis:

  3. Vor allem für den Edlen ist der Eigenname von Wichtigkeit, nichts fürchtet er mehr, als daß sein Name in Verruf gerät und so seine mitweltliche Existenz vernichtet wird. Die eigenen Handlungen werden stets daran gemessen, wie in der Mitwelt darüber gesprochen wird, ob eine Verhaltensweise einem geziemt oder nicht. Der Eigenname ist der Transzendenzpunkt des soma, der Punkt, an dem der Leib in die Sprache und somit in das Miteinander des gesellschaftlichen Lebens übergeht. Gerade in Iphigenie bei den Taurern baut Euripides dadurch eine Spannung auf, daß er Iphigenie den Namen des Orestes längere Zeit vorenthält, so daß sie nicht weiß, wen sie als Priesterin der Artemis der Göttin opfern wird. Zunächst ist nur der Name von Orests Begleiter, Pylades, den Taurern bekannt. Orest weigert sich, Iphigenie seinen Namen zu sagen:

  4. So bleibt der Schwester der Name des Bruders zunächst verborgen. Einen Niemanden zu opfern, ist ihr unerträglich. In dem Maße wie er Iphigenies Begehren nach seinem Eigennamen merkt, spielt Orest seine Macht über ihr Nicht-Wissen aus. Orest pocht darauf, namenlos zu sterben:

  5. Der Eigenname wird vom Tod nicht berührt, dieser geht nur den Leib an. Artemis verlangt ein Tieropfer, nicht das Opfer eines Menschen als solchen, d.h. in seiner sprachlichen Eigengenanntheit, als logon kai onoma echon.



      Anmerkungen 2. c)


    1. Aristoteles De interpretatione Kap. 2, 16a, vgl. Heidegger Gesamtausgabe Bd.29/30 S.464ff. Back

    2. Iphigenia Aulidensis 1383f; 1397 Übers. Donner/Kannicht, mod. Back

    3. Iphigenia Taurica 504; Übers. mod. Back

    4. Ebd. 502; Übers. mod. Back

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