kaum ständig noch

Phänomenologie der Männlichkeit als Wersein


Michael Eldred


artefact text and translation
Cologne, Germany


1. Die Bedenklichkeit von männlich und weiblich

a. Erschließen von Mann und Frau:
ein falscher An-Satz


Version 2.1 July 1996
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Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels


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    1. a) Erschließen von Mann und Frau: ein falscher An-Satz

  1. Die Grunddualität im Menschengeschlecht stützt sich auf etwas Augenfälliges. Dieses Augenfällige ist der frappante Unterschied in der körperlichen Gestalt von Mann und Frau, der immer schon bei jeder Begegnung mit einem Mitmenschen - in erster Linie über das Auge - wahrgenommen wird. Insofern ist die Grunddualität in der Wahrnehmung von Mitmenschen ein Phänomen, ein Sichzeigendes im allerverständlichsten Sinn, d.h. sie gehört zu den elementarsten empirischen Momenten des Geschlechterverständnisses als Grundbestandteil der Erschlossenheit von Mitwelt und darf als solches am Anfang unserer Wesensuntersuchung als Prinzip - d.h. als arche, als bestimmender Ausgang - in den anfangenden Gang des Fragens aufgenommen werden.

  2. Der Anfang fängt ein ins Auge springendes Elementarteilchen der verstehenden Welterschlossenheit gleichsam als Stoff zum Nachsinnen ein, er fängt es ein und fängt damit an. Die Grunddualität ist gleichsam die erste, elementarste Antwort auf ein 'geschlechterontologisches' Fragen des Befragten, des Geschlechterverständnisses, das Jeder (und Jede) als Teil seines (ihres) Da-seins existiert, d.h. wir sind alle diesem Elementarfaktum unseres Daseins ausgesetzt. Diese erste einfache Antwort auf unser Fragen ergibt freilich noch keineswegs das Erfragte, sondern leitet erst ein Fragen ein, das uns in ein Denken des Geschlechterwesens nach und nach vertiefen wird. Aber ist die erste Antwort nicht schon eine Irreleitung? Ist dieser Ausgang wirklich bestimmend? Trotz der großen Verdienste Freuds, überhaupt einen Ansatz zum Denken der Geschlechtlichkeit gemacht zu haben, ist hier erst einmal Vorsicht nötig, um der Sache gemäß in den hermeneutischen Zirkel einzusteigen.

  3. Die Erschlossenheit von Mitwelt ist immer schon in zwei Geschlechter geschieden: Mann und Frau. Genauso wie Seiendes immer schon in Menschliches und Nicht-menschliches geschieden ist, ist die Unterscheidung Mann/Frau gleichursprünglich beim Erschließen der Mitwelt. Es scheint also, daß man so vorgehen und fragen könnte: Was ist das Wesen des Mannes? und Was ist das Wesen der Frau? Die Antworten zu diesen Fragen würden eine Wesensbestimmung von Männlichkeit und Weiblichkeit ergeben. Wesen hier müßte nicht gedacht werden als etwas Unveränderliches, Natürliches, Ewiges außerhalb des Raums der Geschichte, sondern könnte im Bezug zur 'abendländischen Kultur' ausgelegt werden, etwa als die diskurisve Einschreibung von Männlichkeit und Weiblichkeit in männliche und weibliche Körper. So geht auch die neuere feministische Diskussion vor, indem sie nach der gesellschaftlichen Konstruktion der Geschlechtlichkeit, d.h. von Männern und Frauen als geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Wesen, fragt.

  4. Für den Feminismus, ob in traditioneller oder postmoderner Prägung, bildet den Ausgangspunkt die Unterscheidung zwischen den Seienden: Männer und Frauen. Hier melden sich jedoch die ersten Zweifel an dieser Vorgehensweise im Denken, denn die Alltagssprache redet genauso selbstverständlich von Männlichkeit bei Frauen sowie von Weiblichkeit bei Männern. Wenn man versucht diesen Umstand so zu lösen, daß man von typisch männlichen und weiblichen Verhaltensweisen spricht, bleibt der Ansatz in der empirischen Erfahrung stecken; die Wesenserkenntnis verkommt zu einer allgemeinen Erkenntnis: Wesen als empirische Allgemeinheit.

  5. Die Termini 'Männlichkeit' und 'Weiblichkeit' jedoch verweisen bereits in der Wortbildung auf eine Transzendenz der faktischen Gegebenheit von zwei Geschlechtern auf ihre jeweiligen Seinsweisen hin. Männlichkeit ist als Ursprung die Herkunft von männlichem Verhalten; Weiblichkeit ist als Ursprung die Herkunft von weiblichem Verhalten, wobei solches Verhalten nicht eins-zu-eins mit den beiden seienden Geschlechtern korrespondiert. Diese jeweiligen Ursprünge sind keineswegs als Ursachen zu verstehen, sondern sind jeweilige Weisen, in denen das Sein das Menschenwesen braucht. Die vorliegende Darlegung bemüht sich um eine Entfaltung dieser Gebräuche des Seins, um aufzuzeigen, daß die Männlichkeit und die Weiblichkeit nicht von der Natur und auch nicht von der Kultur her zu verstehen sind, sondern vom Sein - das Sein gebraucht das Menschenwesen, das dann in bestimmten selbstverständlichen Verstehensweisen seiner selbst wie in Gebräuchen wohnt. Dabei wird in erster Linie von der Männlichkeit die Rede sein; erst gegen Ende der Darstellung wird die Weiblichkeit in den Blick kommen. Es wird vom 'männlich Seienden' ausgegangen, um das In-der-Welt-sein dieses Seienden als Seinsweise zu ihrer eigenen Sprache zu bringen. Dies ist freilich etwas ganz anders als eine 'Erklärung' der Männlichkeit und erfordert eine ganz andere denkerische Haltung als diejenige, die üblicherweise im feministischen Diskurs vorkommt. Der An-Satz des Denkens hier ist weder anthropologisch, soziologisch noch diskurstheoretisch.

  6. Das 'männlich Seiende' ist nicht der Mann, sondern das Dasein, das männlich west. Die Frage nach der Männlichkeit fragt nach dem Sinn dieser männlichen Wesung.

      Anmerkungen 1. a)


    1. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse XXXIII. Vorlesung Die Weiblichkeit GW Bd.XV S.120/121. Back

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