Parodistisches Denken

  Das Denken der Geschlechterdifferenz als eine postmoderne Herausforderung der Philosophie - das postmoderne Denken als eine Herausforderung feministischer Philosophie


Astrid Nettling 

Vortrag gehalten auf dem XVI. Deutschen Kongreß für Philosophie Neue Realitäten: Herausforderung der Philosophie 20.-24. September 1993 TU Berlin 

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artefact text and translation


Version 1.0: September 1993

"Go, go, go, said the bird: human kind
Cannot bear very much reality."
(T.S. Eliot)
 
 
  1. Die Führung dieses Titels scheint über dem Wort Herausforderung gleich mehrere Klingen zu kreuzen. Zum einen überkreuzt sie die Philosophie und das Denken der Geschlechterdifferenz, zum andern führt sie feministische Philosophie und das postmoderne Denken überkreuz. Aber wie der Titel seine Satzglieder weniger Stirn an Stirn konfrontiert, als daß er sie in einen Übergang führt, so soll hier das Wort Herausforderung wie eine Kreuz- und Wendebewegung wirken, die eine Spanne durchläuft, die ich als die von Moderne-Postmoderne kennzeichnen möchte. 

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  3.  Wie wäre demnach die Philosophie durch das Denken der Geschlechterdifferenz zu wenden, und wie wäre feministische Philosophie und ihr Anspruch, das Subjekt 'Frau' zu konstituieren, wiederum so zu drehen, daß sie den metaphysischen Fallstricken der Moderne entkommt? Es geht also nicht um eine Herausforderung, sich durch neue Positionen zu überbieten, sondern um ein Denken in Übergängen, dem es um Differenz zu tun ist. Wie also unterscheidet sich das Denken der Geschlechterdifferenz - etwa 'im Namen des Weiblichen'?

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  5.  Die Wendung 'im Namen des Weiblichen' spielt an. Sie spielt an auf die Tradition der Philosophie und ihr Denken 'im Namen von', zugleich bewahrt sie durch ihren unpassenden Zuschnitt eine Reserve dieser Tradition gegenüber. Desgleichen spielt sie an auf den modernen Gestus des Überbietens 'im Namen von', tritt postmodern jedoch weder für eine Eigentlichkeit des Weiblichen ein, noch erhebt sie Anspruch auf einen Subjekttitel. 'Im Namen des Weiblichen' parodiert mithin. Das Wörterbuch kennzeichnet die Parodie als übertriebene Nachahmung einer vorgegebenen Form mit anderem, gewöhnlich unpassendem Inhalt. Zumeist eine komisch-satirische Imitation einer ernsten Vorgabe, die ihren hohen Ton herunterstimmt. Denn Parodie heißt auch Nebengesang, der sich neben der Hauptlinie intoniert und durch seinen unreinen Zug die reine, hohe Stimmung verdirbt. Die Parodie, so sagt man, entstehe vorwiegend in Umbruchzeiten. Sie ist der Ausdruck eines Wechsels, eines Übergangs. Weder eine bloße Perpetuierung des Alten noch sein völliger Umsturz schreibt sie sich ein in eine Übergangs-Spanne - sie ist nicht mehr dasselbe -, indem sie kleine Unterschiede macht, einen Spielraum kleiner Abweichungen eröffnet. 

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  7.  Die Freiheit der Parodie liegt vermutlich darin, daß sie sich nicht um eine neue Form zu kümmern braucht, sondern gleichsam von Innen gegen die alte arbeitet. Man mag dies als Armut oder Schwäche bezeichnen, der es an Kraft fehlt, mit dem Alten zu brechen und Neues an seine Stelle zu setzen. Doch vielleicht sind im Falle der Philosophie Armut oder Schwäche durchaus am Platze, zeichnet sich ihre Tradition nicht zuletzt auch als eine Folge glückloser Überbietungen des Alten im Namen neuer Wahrheiten aus. Postmodernes Denken ist sich dieser Armut bewußt und nimmt sie an, darin unterscheidet es sich von dem Gestus der Moderne. 

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  9.  Wenn postmodernes Denken also nicht für einen neuen Namen sorgt, ist das Verhältnis Moderne-Postmoderne nicht als eine einfache epochale Abfolge zweier historischer Zeitabschnitte zu denken. Die zu Beginn erwähnte Spanne von Moderne-Postmoderne besagte, daß es sich um die Bewegung eines Umschlagens handeln soll. Dies meint daher keine progressive Figur, die überbietet - wie der nach vorne gerichtete Vollzug der Moderne -, sondern ist vielmehr als eine e)poxh/, ein Anhalten, ein Innehalten des Vollzugs der Moderne selbst zu verstehen. Das postmoderne Denken ist dasjenige, dessen Leistung darin besteht, im Modernen selbst eine Armut einzuräumen. Eine Wendung, die den philosophischen Gestus des Überbietens zurücknimmt, ihn abschwächt. Eine Wendung der Philosophie mithin durch das "schwache" Geschlecht? 'Im Namen des Weiblichen' spielt auch darauf an.

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  11.  "Neue Realitäten - Denken der Geschlechterdifferenz" ist die Überschrift dieser heutigen Sektion. Postmodern konzediert ihr Titel in der Verwendung des Plurals das Auseinanderfallen einer noch als einheitlich zu erfassenden Realität, die Zerstreuung einer einfachen Wahrheit, in der sich das enthüllt, was als Realität - Zitat - "in sich selbst steht ..., was Widerstand leistet, was sich aufdrängt, was auf permanente Weise und geregelte Weise verharrt, und dadurch auch das, worauf man sich innerhalb definierter Grenzen verlassen kann" - so das "Historische Wörterbuch der Philosophie" unter dem Stichwort "Realität". Die Begriffsgeschichte des Wortes Realität beginnt in der Scholastik, geht dort zurück auf das lateinische res: Sache, Gegenstand, und bedeutet die Sachheit, die Wesenhaftigkeit einer Sache als solcher. Wenn der traditionelle metaphysische lo/goj seine Stärke daraus bezog, das Seiende im Ganzen, die Sachheit dessen, was ist, zu fassen, dann hat das Denken der Differenz nicht mehr mit einem Ganzen der Realität, mit einem Ganzen des Sinns zu tun. Sobald es um Differenz geht, ist aber auch das Verhältnis, das es zu dem einnimmt, was im Plural als "Neue Realitäten" bezeichnet wird nicht einfach pluralistisch, indem es sich auf ein Nebeneinander verschiedener Realitäten, verschiedenen Sinns richtet, sondern es zeichnet sich aus durch einen Sinn für Übergänge. Dieser besagt, daß das Denken der Differenz nicht den Sinn will - die Betonung liegt hier auf wollen, verweist also auf eine antreibende Begehrensstruktur -, vielmehr ist es um Sinn besorgt, trägt Sorge dafür, daß der Übergang statthat, daß Offenheit waltet.

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  13.  Man kann sagen, daß das moderne Denken einen Sinn für Grenzen hat. Denn es etabliert einen Diskurs, der von der Grenze aus über die Bedingungen der Möglichkeit dessen geführt wird, was innerhalb der Grenze dem Denken gegeben werden kann. Ein Zug der positiven, kritischen Grenzziehung und Beschränkung nach innen, doch zugleich ein Eingeständnis der Begrenztheit des Denkens selbst, das Zugeständnis eines Außerhalb, das sich dem Denken entzieht. 

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  15.  Die späte Moderne hat diese Grenze nicht nur kritisch, sondern auch libidinös mit ihrem Begehren besetzt. Denn sie markiert den Rand, an dem das Subjekt des Sinns jenen Exzeß erfährt, der es beschneidet, an dem es übertroffen wird und sein Maß verliert. Ist das Subjekt auf Sinn aus, ist es durch seinen Leib sinnhaft verflochten mit der Welt, entbindet das moderne Denken über diesen Rand das Subjekt zu einem Außerhalb seiner. Spanne des verlorenen oder ausstehenden Sinns, den das Subjekt nicht aufhört zu begehren. Mangel, Wunde, Kastration - die Psychoanalyse hat diese conditio des Subjekts in ihrer fundamental geschlechtlichen Konsequenz verfolgt. Eine Folge, welche die Geschlechtlichkeit des Subjekts herausführt außerhalb einer 'natürlichen' Bestimmung des sexus oder der kulturellen Kontingenz von gender. Dimension eines Schmerz und Erregung erzeugenden Einschnitts, jener namenlose Exzeß auf Seiten des Subjekts - eigentlich namenlos, auch wenn man ihm viele Namen gibt: Kastration der Mutter, Name des Vaters, Gesetz oder Funktion des Phallus. Namenloser Rest, der abfällt und herausfällt, bei der Konstitution des Subjekts.

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  17.  Ist dieser Einschnitt des Subjekts als Schwelle oder Übergang zu veranschlagen, ohne daß er gleich Nahrung für neuen Sinn abgibt, ohne daß das Subjekt nostalgisch die alten Namen wiederholt oder sich in einer nicht endenden Trauerarbeit ob des ausbleibenden Sinns verzehrt? Ist dieser Rest anders denn als Abfall oder als Verlorenes, an dem das Subjekt mit seinem Begehren gebunden bleibt, als ein noch zu denken, was dem Subjekt wieder eingeräumt wird? Nicht um es sich anzueignen als neuen Sinn, sondern als Sinn für die Offenheit des Übergehens, als Sinn für Differenz selbst? Eingeräumt wird durch einen parodistischen Zug 'im Namen des Weiblichen', der den tragischen Ton des modernen Subjekts herunterstimmt, um das Pathos des Verlusts endlich zu verwinden. Denn der Rand ist nicht nur Wunde, sondern ebenso Offenheit des Übergangs, an dem noch nichts verloren ist. Wenn das eigentliche Werk des Eros das des Todes ist, wie Freud sagt, ist es dann sein uneigentliches Werk, diese Spanne des noch offen zu halten? Uneigentlich - mithin ein Beiwerk, das dem Subjekt wieder zugetragen wird?

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  19.  Als ein solches Beiwerk, Nebenwerk zu fungieren, ist seit je die Bestimmung des Weiblichen gewesen. Als ein Parergon, das hilft, den Übergang zwischen dem Innen und dem Außen zu bewerkstelligen und dabei selbst marginal, nebensächlich bleibt. Wenn nun das postmoderne Denken der Geschlechterdifferenz einen Diskurs über den Übergang zwischen Innen und Außen führt und danach fragt, wie der Übergang das Innen einräumt, bringt es damit wieder die Bewegung einer Differenz ins Spiel - was auch bedeutet, jene parergonale Funktion des Weiblichen, die vom traditionellen abendländischen Diskurs niemals eigens bedacht worden ist, aufzugreifen. 

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  21.  Aber zuvor, was ist ein Parergon? Das griechische Wort pare/rgon wird übersetzt mit Nebenwerk, Nebensache, Zugabe, Beiwerk. Es bezeichnet ein Supplement zum eigentlichen Werk - dem e/rgon. "Der philosophische Diskurs wird immer gegen das Parergon sein. Aber was wird es mit dem gegen auf sich gehabt haben. Ein Parergon tritt dem Ergon, der gemachten Arbeit, der Tatsache, dem Werk entgegen, zur Seite und zu ihm hinzu ...", (Die Wahrheit in der Malerei, 62.) formuliert Derrida. Denn Spannung bewirkt es durch seinen nicht bloß beigegebenen, gleichsam dazugestellten Charakter zum Ergon, sondern "... es fällt nicht beiseite, es berührt und wirkt von einem bestimmten Außen her, im Inneren des Verfahrens mit; weder einfach außen, noch einfach innen; ...". (Die Wahrheit, 74.) Das Parergon hilft, das Ergon ins Werk zu setzen und entfaltet seine größte Kraft in dem Moment, wo es sich für das Werk verzehrt haben wird. Noch einmal Derrida: "... das Parergon ist eine Form, deren traditionelle Bestimmung es ist, sich nicht abzuheben, sondern zu verschwinden, zu versinken, zu verblassen, in dem Augenblick, wo es seine größte Energie entfaltet." (Die Wahrheit, 82.)

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  23.  Durch das Parergon wird das Ergon also bestätigt - wie etwa durch einem Rahmen, der hilft, das Werk von einem Außen abzugrenzen. Aufmerksamkeit des Betrachters beansprucht einzig das Werk, das seine Autonomie vorführt und den Rahmen als Nebensache behandelt - so die traditionelle Selbstinszenierung des Werks. Zieht man hingegen die Wirkung des Rahmens mit in Betracht, der zwischen einem Außen und einem Innen vermittelt, scheint das Parergon dem Ergon etwas zuzutragen, was seine Abgeschlossenheit, seine Souveränität als Werk, in Frage stellt - es braucht einen Rahmen. In gewisser Weise führt es also einen Mangel ein und supplementiert ihn. Als Rand zwischen einem Innen und einem Außen markiert es auf diese Weise eine Differenz - es unterscheidet sich, weder innen noch außen operiert es dazwischen und wird verschwunden sein, wenn es das Ergon ins Werk gesetzt hat. 

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  25.  Die Parergonalität des Weiblichen läßt sich bereits bei Platon auffinden. In der Funktion von xw/ra. Sie ist nicht einfach zu übersetzen, das Wörterbuch gibt Stelle, Örtlichkeit, Gegend, eine Person oder Sache umgebendes Stück Land und Zwischenraum an, Platon selbst umschreibt sie mit einer Reihe von Vergleichen. Xw/ra sei wie ein Behältnis, eine Aufnahme, eine Amme des Werdens, eine Mutter, ein Ausprägungsstoff. Xw/ra also nimmt das Seiende auf, gibt ihm eine Statt, indem sie selbst zurücktritt und anderem durch ihr Ausweichen Platz gewährt. Die traditionelle Philosophie hat niemals eigentlich darüber gesprochen - lediglich in einer uneigentlichen, bastardhaften Rede war es ihr möglich, xw/ra zuzulassen, in jenem logi/sm% tini no/q%, dessen Platon sich bedient, um über jenen Rest, der aus dem Rahmen der Philosophie herausfällt, den sie aber gleichwohl benötigt, sprechen zu können. 

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  27.  Und wenn die conditio moderna der Philosophie sich über jene Funktion der Grenze bestimmt und das Subjekt einräumt über das Zugeständnis des notwendigen Rests, der abfällt, wird auch hier Weibliches als jener Rest abgefallen sein als etwas, das es wohl braucht, über das es jedoch keinen lo/goj gibt. Denn die sexuelle Differenz bemißt sich von jener reinen Grenze aus, die das Subjekt der Logik des Phallus unterwirft. Rand der Kastration, an dem die Transzendentalität des Phallus waltet als die Macht des Verlusts, die den lo/goj beschneidet und durch die das Begehren nach seinem verlorenen Objekt, das Begehren nach Sinn, angebahnt wird. 

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  29.  Von da aus wird es keine Differenz der Geschlechter geben. Wiewohl die Fleischwerdung des Geistes auch hier in xw/ra geschieht, mit Hilfe jener Funktion des Weiblichen, die der lo/goj für die eigene Heraufkunft nötig hat. Denn xw/ra geht schwanger mit ihm, gibt ihm statt, läßt anderes zu, indem sie selbst ausweicht. So wenn Lacan schreibt: "Das bringt jene ursprüngliche Beziehung zur Mutter zum Ausdruck, die schwanger geht mit jenem Anderen, das diesseits des Bedürfnisses zu situieren ist, die es befriedigen kann." (Die Bedeutung des Phallus, 127.) Es wiederholt sich hier die Eigentümlichkeit des abendländischen Denkens, daß die sexuelle Differenz als Weibliches interveniert und vernebensächlicht wird. In dieser Spanne wird Weibliches das Beiwerk der Differenz geleistet haben, indem es unterscheidet und anderes einräumt - jenes Schwangergehen mit dem Anderen -, damit überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Ein Beiwerk für den Eros, aber vor allem Markierung der Grenze des Subjekts als den Rand, an dem, wie Lacan betont, "der Part des Logos mit der Heraufkunft des Begehrens konvergiert." (Die Bedeutung des Phallus, 128.) 

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  31.  Ein Philosophieren 'im Namen des Weiblichen' erfolgt also wieder an diesem Übergang, für den es traditionell ohnehin zuständig war. Es wiederholt das Beiwerk der Differenz, von dem die Philosophie zehrte, ohne von ihrem Ergon, ihrem corpus zehren zu lassen. Ausgrenzung der Differenz zu Lasten des Weiblichen, der Differenz als Weibliches, das ihre Arbeit erledigt. Denn es war immer das Begehren der Philosophie gewesen, sich durchzuhalten 'im Namen des Sinns'. Und selbst die Destruktion dieses metaphysischen to/poj durch die Moderne hält diesen leeren Platz reserviert. Würde also 'im Namen des Weiblichen' nun umgekehrt vom Ergon der Philosophie zehren?

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  33.  Ich hatte eingangs den parodistischen Gestus von 'im Namen des Weiblichen' betont und auf die Form der Parodie in ihrer Armut und Schwäche verwiesen, wenn sie kein eigenes Ergon erstellt, sondern von ihm profitiert. Das heißt auch, daß die Parodie durch einen parasitären Zug gekennzeichnet ist. Denn sie zehrt von dem Ergon, nährt sich von ihm - ißt mit, wie die wörtliche Übersetzung von parasitär heißt. In seiner eher negativen Konnotation bedeutet es schmarotzen, nach fremden Gütern lungern. Der parodistische Gestus 'im Namen des Weiblichen' würde mithin auch durch eine solch parasitäre Neigung gezeichnet sein, die von einem anderen zehrt. Ich möchte dazu an eine Stelle bei Platon im "Symposion" erinnern, wo er diesen Zug des Weiblichen in den Geburtsmythos von Eros einfließen läßt. Wie Sie wissen, sind dessen Eltern Poros, das Mittel, der Weg, Sohn der Klugheit, und Penia, die Armut und Dürftigkeit. Platon erzählt folgende Geschichte, wie es zur Zeugung des Eros kam: 

  34.  
      "Als Aphrodite zur Welt gekommen war, hielten die Götter ein Festmahl und mit den anderen auch Poros, der Sohn der Metis. Nach beendigter Mahlzeit kam Penia, eine Gabe zu erbitten - denn es ging hoch her - und lungerte an der Tür. Poros nun, trunken vom Nektar - denn Wein gab es noch nicht - begab sich in den Garten des Zeus und schlief schwer berauscht ein. Penia aber, getrieben durch ihre Dürftigkeit, sann darauf, sich durch List zu einem Kind von Poros zu verhelfen, legte sich zu ihm und empfing Eros." (Symposion, 203b.) 
       
  35. Ausgeschlossen vom Fest der Aphrodite lungert Penia an seiner Schwelle. Wie ein Parasit verschafft sie sich in ihrer Armut ein Mittel, Poros, um zu Eros zu kommen. Eros also das Produkt des erschlichenen Beischlafs der Armut. Die philosophische Tradition hat aus Eros lieber den Sohn von Poros machen wollen. Sie faßte den Eros in seiner a-poretischen Struktur. Eros ist in der A-porie, das heißt er ist wege- und mittellos. Das mütterliche Erbteil schwingt im alpha privativum lediglich mit bei seiner expliziten Ausrichtung auf den Namen Poros. Warum diesen Namen nicht verschieben zu dem der Penia? Die a)-pori/a zu peni/a? Was vor allem bedeuten würde, die Struktur des Begehrens, durch die sich Eros auszeichnet, zurückzunehmen. Denn aus der Wegelosigkeit, dem Mangel heraus begehrt er das Objekt des Guten, Schönen, begehrt Eros den Sinn. Doch die Armut räumt Poros lediglich eine Schwäche ein, indem sie Poros in seiner trunkenen Sattheit in seiner Stärke, seiner Klugheit schwächt - ein listiges Beiwerk des "schwachen" Geschlechts am Rande des Festmahls der Götter. Eine parasitäre Lust von Seiten des Weiblichen, was die philosophische Tradition umdrehen wird in die parergonale Rolle des Weiblichen als xw/ra, von dem das Ergon des Mannes zehrt.

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  37.  Es war zu Beginn davon die Rede, daß postmodernes Denken sich seiner Armut bewußt ist. Denn es versteht sich als enteignetes Denken, das heißt, es ist ohne ein Eigenes, ohne Namen und Subjekttitel. Eine freiwillige Übernahme, ein gewollter Armutstitel, den es übernimmt. Zugleich ist es dasjenige Denken, das in der Philosophie selbst jene Armut einräumt und ihre Schwächung bewirkt, indem es parasitär von dem zehrt, was man den corpus der Philosophie nennen könnte. Nicht als ein nekrophiles Mahl - selbst wenn das Ende der Philosophie immer wieder verkündet wird -, sondern als Versuch ihrer Öffnung. Anders als das Denken der Moderne, dessen Begehren sich auf neue Namen richtet - der Name oder zumindest sein to/poj bilden das Objekt seines Begehrens -, suspendiert postmodernes Denken dieses Wollen und ist um den Übergang selbst besorgt. In einer Art e)poxh/ des Sinns sorgt es für diesen Übergang als Offenheit. In einer Haltung der Gelassenheit läßt sie Sinn ankommen, ohne ihn als ein Objekt zu begehren. Dort ist auch das Denken der Geschlechterdifferenz situiert. Denn anders als die Penia Platons trägt 'im Namen des Weiblichen' keine Sorge um ein Kind von Poros - mithin Sorge um einen neuen Namen, Begehren nach einem Objekt des Sinns -, sondern sorgt als das "schwache" Geschlecht für die Offenheit der Philosophie, für das Denken als Offenheit 'im Namen der Philosophie'.
 

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