Epikálypsis - Antigone * Schwester  
Astrid Nettling  

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Version 1.0: January 1993 
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  1. Noch einmal, wie kann das philosophische Denken ihr Tun in seinen Bereich übersetzen, auf welche Weise kann der Transfer von Antigone und ihrer weiblichen, epikalyptischen Operation in die Philosophie, in die Metaphysik geschehen? Was bedeutet die Operation der epikálypsis, ihr Wirksamwerden innerhalb der Metaphysik und ihrer onto-logischen Bindung? Wenn das Denken der traditionellen Metaphysik sich innerhalb des Horizonts der Anwesenheit entfaltet - traditionell fragt sie nach dem Seienden als solchem, nach dem Sein des Seienden in seiner Offenbarkeit für den lógos -, welchen Stellenwert hat dann das (Ver)decken, das (Ver)bergen? Muß nicht eine Verschiebung der Metaphysik passieren, damit epikálypsis in den Blick kommt? Eine Verspannung ihres Horizonts, daß das Phänomen der (Ver)deckung erscheinen kann? Wendet die Operation der epikálypsis die Metaphysik so, daß sie sie auf ein ihr entzogenes Außen dreht, auf ein gegenüber der traditionellen Metaphysik und ihren Namen für diese Stelle nunmehr Anonymes, absolut Transzendentes, aber gleichwohl Wirkendes? Ein epékeina tes ousías, das in diesem Fall durch einen weiblichen Zug getragen und (offen)gehalten wird? 

  2.  
  3. Das Übersetzen ist eine Sache des Übergangs. Es hat zu tun mit einem Wechsel - Wechsel des Genres, Wechsel der Sprache -, hat vordergründig zu tun mit einem (Original)text, der in eine andere Sprache, in ein anderes Genre hinübergebracht wird. Vordergründig - denn eigentlich geht es bei der Übersetzung um die Sprache, mithin um das Denken selbst.

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      Man meint, das "Übersetzen" sei die Übertragung einer Sprache in eine andere, der Fremdsprache in die Muttersprache oder auch umgekehrt. Wir verkennen jedoch, daß wir ständig auch schon unsere eigene Sprache, die Muttersprache, in ihr eigenes Wort übersetzen. Sprechen und Sagen ist in sich ein Übersetzen ... Wir meinen dabei nicht erst den Vorgang, daß wir eine Redewendung durch eine andere derselben Sprache ersetzen und uns der "Umschreibung" bedienen. Der Wechsel in der Wortwahl ist bereits die Folge davon, daß sich uns das, was zu sagen ist, übersetzt hat in eine andere Warheit und Klarheit oder auch Fragwürdigkeit. Dieses Übersetzen kann sich ereignen, ohne daß sich der Sprachliche Ausdruck ändert. ... Das sogenannte Übersetzen und Umschreiben folgt immer nur dem Übersetzen unseres ganzen Wesens in den Bereich einer gewandelten Wahrheit. Nur wenn wir schon diesem Übersetzen übereignet sind, sind wir in der Sorge des Wortes.[1] 
       
  5. Für Heidegger bedeutet das Übersetzen wesentlich die eigene Auseinandersetzung mit dem Anfang dessen, was für das abendländische Denken Philosophie heißt. Sie verläuft zugleich als eine Revision dieses für uns verlorenen Anfangs, in der nicht einfachen Bewegung von Wiederholung, Änderung und Fortschreibung, stiftet so eine Bindung an ein 'Anfängliches', wobei das Denken, einen Prozeß des Nachträglichen anspannend, seinen je eigenen Anfang entfaltet.[2]  Nun ist dieses revidierende Übersetzen vor allem gegen eine 'andere' Übersetzung gerichtet, gegen eine Übersetzungsgeschichte in der jener nachtragende Zug anfänglicher Bindung vergessen wurde, sich in der Verdunkelung, dem Vergessen der anfänglichen Eröffnung selbst einrichtete. Heideggers Übersetzen sucht sich in den Zug dieser Nachträglichkeit zu stellen - die nachtragende Bindung des Menschen an das Sein - dem entgegen, was er die Seinsvergessenheit des abendländischen Denkens, der Metaphysik, nennt. Spanne zwischen dem, was es heißt, scheinbar einfach zu vergessen - obgleich es eigentlich ein doppeltes Vergessen ist, das Vergessen wird ebenso vergessen - und dem, was es heißt, das Vergessen eigens zu gewahren, es damit in einen Prozeß des Andenkens zu drehen, die Spanne des Nachtrags zu eröffnen. Andenken an einen Anfang, den es als Geschehen nie gegeben hat, in dessen Wirkung die Sache des Denkens gleichwohl steht, in dessen Spur sich das Denken aufgeworfen hat wie eine Falte - sich das Denken jeweils erneut aufwerfen muß -, als es 'sich' dachte in dem Moment des Fragwürdigwerdens von Denken und Sein. 

  6.  
  7. Für diesen Anfang machte Heidegger das Griechische, die Worte der griechischen Dichtung geltend, die Szenerie der griechischen Tragödie, welche selbst sich aus dem Stoff des Mythos, frühe memoria des Menschen, speiste. In einer Bewegung, die dem entgegenläuft, wie die frühen Philosophen, wie etwa Platon, zu trennen suchten - das Dichterische, den mytho-lógos vom philosophischen lógos -, suchte Heidegger in jenem die memoria an das anfängliche Geschehen des "Aufgehens" der Bindung von onto-lógos - ein Geschehen gleichwohl sine scaena und persona. Eine Art Voreröffnung der Statt der Metaphysik, in deren Offenheit diese sich immer schon entfaltet. Auch die griechische Tragödie setzt ein mise-en-scène - zum Beispiel Antigone. Sie übersetzt den mytho-lógos in die Polis, die Stätte des griechischen Gemeinwesens, was Heidegger wiederum als die Stätte des menschlich geschichtlichen Aufenthalts inmitten des Seienden im Ganzen übersetzt.[3]  Spanne der Bindung und der Distanz gegenüber dem, was historisch die griechische Polis war und dem, wie sie Heidegger veranschlagt als der je und je offene mithin geschichtliche, epochale Raum überhaupt. 

  8.  
      Das Vor-politische und alles Politische im ursprünglichen und im abgeleiteten Sinne erst ermöglichende Wesen der pólis liegt darin, die offene Stätte zu sein der Schickung, aus der sich alle Bezüge des Menschen zum Seienden, und d.h. immer zuerst die Bezüge des Seienden als solchen zum Menschen bestimmen. Das Wesen der pólis kommt daher stets ans Licht nach der Art, wie das Seiende als solches überhaupt ins Unverborgene tritt.[4] 
       
  9. Also Spanne der Bindung an eine scaena - zum Beispiel an die Polis der Griechen, an die Polis in den Tragödien des Sophokles und an die statthabende Öffnung der Stätte des Geschichtlichen, der alétheia als der Unverborgenheit des Seienden - und einer Distanz, eigentlich sine scaena, die den Prozeß der Eröffnung selbst, daß überhaupt Aufgehen und Erscheinen des Seienden ist, zu denken ermöglicht. 

  10.  
  11. Heidegger überträgt die Antigone des Sophokles in diese diffizile Spannung. Eine Spannung, die durch eine weibliche Operation gehalten wird - die epikálypsis Antigones, was wiederum Heidegger nicht übersetzt. Der Nachtrag der Heideggerschen Übersetzung sucht die Wirkung eines 'Anfangs', eines 'Anfangs' sine scaena und persona zu eröffnen, mithin der Anfänglichkeit des abendländisch metaphysischen Denkens. Heidegger geht jedoch nicht so weit, die Metaphysik, wenn er sie dreht, wenn er sie auf die 'ursprüngliche', aber diffizile Bindung von lógos und Sein dreht, mit einer 'anfänglichen' Operation des Weiblichen zu konfrontieren, die nicht einfach in der Bindung des Menschen an das Sein aufgeht. Freilich kann die Bedeutung von Antigone nicht einfach in die Metaphysik übersetzt werden, nicht innerhalb des Horizonts der Anwesenheit erscheinen, nicht innerhalb der Stätte des Offenen, der alétheia als der Unverborgenheit des Seienden, wenn Antigone eigentlich von léthe, vom Seinsentzug her zu denken ist. Soweit dreht Heidegger die Antigone des Sophokles und die darin ausgesprochene "dichtend-denkende Grunderfahrung des Seins" gegen die Metaphysik und ihre Seinsvergessenheit. Aber darüber hinaus retabliert diese Drehung nicht einfach die Bindung des Menschen, wenn diese selbst von einem weiblichen Zug getragen ist. Einer weiblichen Operation, die sich nicht ohne weiteres 'aufheben' läßt durch die Übersetzung in das Genre der Philosophie als das Übersetzen zu einem "neuen Ufer ... in den Bereich einer gewandelten Wahrheit."[5]  Vielmehr berührt epikálypsis die Frage des Transfers, des Übersetzens des philosophischen Textes von einem Außerhalb her. Sie trägt dadurch Sorge für die "Sorge des Wortes", daß sie (sich) entzieht, ausweicht in ein dem lógos Entzogenen - ein Zug, mit dem sie in die Nähe des differierenden Effekts der Differenz zu bringen ist. Wiederholt sich hier eine Schwierigkeit des metaphysischen Diskurses, der schon Platon ausgesetzt war bei seinem Versuch, die Funktion von chóra "durch Reden zu erhellen"?[6]  Wiederholung und nachtragende Wirkung einer diffizilen Operation, die nicht einfach zu übersetzen ist. Wie auch der Wächter ins Stocken gerät, die Tat Antigones Kreon ohne Umschweife zu übermitteln. "So wandte ich es hin und her, eilte mit Weile,/ Und also wurde aus dem kurzen Weg ein langer. ... - und hab ich auch rein nichts zu sagen -/ Es anzuzeigen doch." (231-234) 
 

    Fußnoten 

     
    1. Martin Heidegger Parmenides Gesamtausgabe Band 54 Frankfurt a.M. 1982, 17f. zurueck

    2.   
    3. "Wir lernen die griechische Sprache, damit das verborgene Wesen unseres eigenen geschichtlichen Anfangs für uns sich in die Klarheit unseres Wortes finde." Martin Heidegger Hölderlins Hymne "Der Ister", 81. zurueck

    4.  
    5. (Vgl.) Martin Heidegger a.a.O. 101. zurueck

    6.  
    7. Ebd., 102. zurueck

    8.  
    9. Martin Heidegger Parmenides 18. zurueck

    10.  
    11. "... durch ein gewisses Bastard-Denken (logismoi tini nóthoi) erfaßbar, kaum zuverlässig. Darauf hinblickend träumen wir und behaupten, alles Seiende müsse sich irgendwie notwendig an einem Ort befinden und einen Raum einnehmen." Platon Timaios 52b. zurueck
     

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